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Der Schwur des Maori-Mädchens

Der Schwur des Maori-Mädchens

Titel: Der Schwur des Maori-Mädchens
Autoren: Laura Walden
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Prolog
     
    Der Missionar beschleunigte seinen Schritt. Wenn er das Boot nach Paihia noch rechtzeitig erreichen wollte, musste er sich beeilen. Er schnaufte ein wenig, als er den Bergkamm überquerte, um die Abkürzung am Fluss entlang zu nehmen. Wie immer im Frühjahr hatte sich das ruhige Gewässer in einen reißenden Strom verwandelt. Er mochte die Wildheit der Natur. Das war einer der Gründe, warum er trotz der immerwährenden Sehnsucht seiner Frau nach den sanften, lieblichen Feldern der alten Heimat nicht zur Rückkehr zu bewegen war. Nein, am anderen Ende der Welt empfand er jene grenzenlose Freiheit, die ihm in England nicht vergönnt gewesen war. Einmal abgesehen davon, dass er hier eine überaus befriedigende Aufgabe zu erfüllen hatte. Was konnte schöner sein, als in die feierlich glänzenden dunklen Augen der Einheimischen zu blicken, wenn er sie taufte? Und er durfte nicht ohne Stolz von sich behaupten, dass er schon viele von ihnen zum christlichen Glauben bekehrt hatte. Ein markerschütternder Schrei riss ihn aus seinen Gedanken. Erschrocken blieb er stehen und blickte sich nach allen Seiten um. Als er sah, was dort ein paar Schritte vor ihm am Flussufer vor sich ging, durchfuhr ihn ein eiskalter Schauer.
      Mit Musketen bewaffnete Maori trieben einen Jungen vor sich her und zwangen ihn, ins Wasser zu gehen. Der Reverend kämpfte mit sich. Sollte er sich bemerkbar machen und das Unglück verhindern? Das konnte gefährlich werden, denn er erkannte auf einen Blick, dass die Männer Fremde waren. Noch nie zuvor hatte er diese Art von Tattoos gesehen, die jene Maori wie einen edlen Schmuck und voller Stolz im Gesicht trugen. Gewöhnlich fürchtete er die Begegnung mit fremden Stämmen nicht, aber diese Männer machten keinen freundlichen Eindruck. Im Gegenteil, immer wenn der Junge sich umdrehte und um sein Leben schrie, schnitten sie Furcht erregende Grimassen, die fatal an jene erinnerten, die Maori-Krieger beim Haka zogen.
      Der Junge stand bereits bis zu den Knien im kalten Wasser. Ein paar Schritte noch, und er würde vom Strom mitgerissen werden und jämmerlich ertrinken. Das konnte der Reverend trotz der Furcht vor diesen Männern nicht mit seinem Gewissen vereinbaren.
      »Lasst den Jungen los!«, brüllte er so forsch wie möglich. Etwa ein Dutzend Gesichter drehte sich auf einmal zu ihm um. Der Häuptling in seinem schmückenden Federmantel gab seinen Leuten ein Zeichen zu schweigen. Dann trat er einen Schritt vor und schrie etwas zurück, was der Missionar nicht sofort verstand. Das bewies ihm endgültig, dass diese Maori Fremde waren, denn die Sprache der örtlichen Stämme war ihm inzwischen vertraut. Gut sogar, denn er unterrichtete schließlich in der Missionarsschule ihre Kinder. Überdies sprachen die meisten von ihnen inzwischen eine Art Maori-Englisch, sodass sie sich problemlos mit den Pakeha verständigen und vor allem Handel mit ihnen treiben konnten.
      Wenngleich dem Reverend nicht wohl war, trat er scheinbar unerschrocken auf den Häuptling zu. Nun versuchte er, ihn auf dem in der Bay of Island üblichen Kauderwelsch anzusprechen.
      »Woher kommt ihr?«
      Der Häuptling zögerte, doch dann erwiderte er schroff: »Wir sind hier, um die Ahnen zu rächen.«
      »Das ist nicht wahr!«, rief der Junge, der zitternd im kalten Wasser stand.
      Er spricht gutes Englisch, stellte der Reverend erstaunt fest. Und er erkannte an dessen Kleidung, dass er offenbar der Sohn eines Häuptlings war. Sein Mantel war aus prächtigen Emufedern gefertigt. Der Junge hatte ihn nach oben gezogen, damit sich die Federn nicht voller Wasser saugten.
      »Geh deines Weges!«, befahl der Häuptling und funkelte den Reverend aus seinen glühenden Augen an.
      »Ich bewege mich nicht von der Stelle, bevor ich nicht weiß, was hier geschieht«, erwiderte er entschieden.
      »Sie haben das Dorf meiner Eltern niedergebrannt und alle umgebracht!«, brüllte der Junge verzweifelt.
      »Sein Vater und seine Männer haben einst unser Dorf überfallen und sich die schönsten Mädchen genommen. Und nun haben wir sie endlich aufgespürt, und das war die Strafe, doch unsere Ahnen werden erst Ruhe geben, wenn der Sohn des Häuptlings vom Fluss Kerikeri verschluckt wird.«
      Ein lautes Aufheulen - ähnlich dem eines verletzten Tieres - ließ dem Reverend das Blut in den Adern gefrieren. Es kam nicht von dem Jungen, wie er irritiert feststellen musste.
      »Was ist das?«, fragte er.
      In diesem
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