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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren
Autoren: Jonas Lüscher
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nach absolvierter Vorstellung sein Kamel im Hof hinter den Wirtschaftsgebäuden an den Stamm einer Palme binden und sich daselbst, neben dem Tier, auf einer mitgebrachten Bastmatte zur Ruhe legen sollte, um sich im Morgengrauen, mit dem kümmerlichen Lohn für seine Darbietung und Bereitstellung des Kamels in der Tasche, auf den Nachhauseweg zu machen. Dann aber ergriff er, als sich die Gesellschaft beim Bankett befand, die Gelegenheit, sich einer ganzen Platte Garnelentempura samt Harrisamayonnaise zu bemächtigen, die an der Poolbar stehen geblieben war. Eigentlich hatte er gehofft, damit Rachid beglücken zu können, damit sich dieser, im Gegenzug, mit einigen Zügen aus seiner Haschischpfeife bedanke. Er wusste nicht, dass Rachid mit seinem Umzug in die Wüste nicht nur dem Schwimmen, sondern dem Meer überhaupt und auch dessen Früchten abgeschworen hatte. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als die unbekannte Speise, die in ihm anfänglich die schönsten Ahnungen der weiten Welt hervorgerufen hatte, ganz alleine zu verzehren. Der arme Mann, die eiweißreiche Kost nicht gewohnt, glaubte, in der Nacht sterben zu müssen, und übergab sich zusammengekrümmt auf seiner Bastmatte ein ums andere Mal vor seinem Kamel, welches die dargebotene Gabe dankbar annahm und mit geschickter Zunge aus dem Sand leckte. Im Morgengrauen erbarmte sich Rachid seiner und packte den völlig entkräfteten Mann in sein eigenes Bett, wo dieser fiebernd den ganzen nächsten Tag samt dem Untergang Englands verschlief, während sein Kamel im Hof stoisch auf ihn wartete.
    Zum anderen waren da ein eitler Soziologe, der es nicht mochte, wenn man seinen Ausführungen nicht folgte, und ein Schweizer Geschäftsmann, beide zusammen an einem Blechtischchen auf einem tunesischen Dorfplatz, süßen Tee trinkend, der Geschäftsmann mit der fleckigen Hose von einem dicken Polizisten, der am Fenster der Gendarmerie eine Boussetta rauchte, abgelenkt, weswegen der Engländer größeres Geschütz auffuhr und ihm die Geschichte vom gefüllten Kamel auftischte, in welcher Preising ganz richtig eine Schnurre erkannte und sie nicht für bare Münze nahm, was ihm aber ganz egal war, als er sie abends, weil er sich in der Gegenwart einiger junger betrunkener Menschen interessant machen wollte, als solche verkaufte.
    Es dauerte nicht lange, bis Quickys messerbewehrte Truppe auf der Suche nach Essen auf das Kamel im Hof stieß, und Quicky, der mit einer erstaunlichen Auffassungsgabe, aber schlechten Literaturkenntnissen gesegnet war und am Vorabend Preisings Geschichte nur mit einem Ohr gelauscht hatte, war beim Anblick des Kamels auf einen Schlag in der Lage, das gesamte Rezept präzise wiederzugeben, und begeisterte seine Anhänger mit der Aussicht auf ein authentisches tunesisches Festmahl. Das leise klagende Tier wurde losgebunden und an einem Strick zum Schwimmbecken geführt. Einwände aus der Truppe, es seien weder Hammel, noch Ziege und auch keine Wachteln aufzutreiben, begegnete Quicky mit dem Hinweis, außergewöhnliche Zeiten verlangten nach einem Höchstmaß an Improvisationsvermögen, und es werde sich schon etwas finden, womit sich das Kamel füllen ließe. Rachid, vom Blöken des Kamels herbeigelockt, tauchte also in Begleitung seiner Hündin und der vier wohlgelaunten Welpen zum ganz falschen Zeitpunkt am Schwimmbecken auf, und es war auch keine gute Idee, sich der betrunkenen Meute, die sich gestrandet in einem fremden Land vor den Trümmern ihrer Existenz sah, entgegenzustellen, um das Leben seiner Tiere zu schützen. Eigentlich wollte Quicky nur ein Scherzchen machen – er aß doch keine Hunde –, als er sich, nackt bis auf eine hochgekrempelte Hose, das Messer theatralisch zwischen der Linken und der Rechten hin und her werfend, drohend dem Bademeister näherte, der sich mit breiter Brust und erhobenen Fäusten vor seinen Tieren aufgebaut hatte. Es war der blonde Jüngling, der in der Nacht zuvor Quicky mit der Ergebenheit eines jungen Verbindungsbruders als Stütze gedient hatte, der sich Rachid von hinten näherte und ihm denselben Tennisschläger, den Willy benutzt hatte, um ans Bier zu gelangen, über den Schädel zog. Der kräftig durchgezogene Schlag fällte den ehemaligen Schwimmmeister wie einen jungen Palmtrieb und ließ ihn mit dem Gesicht voran ins Becken fallen. Als sich seine mächtigen Lungen mit Wasser füllten, war ihm, als höre er die Glocke der gelben Boje schlagen.
    Nun, da Blut geflossen und auf das Ertrinken des
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