Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren
Autoren: Jonas Lüscher
Vom Netzwerk:
Springbrunnen, rücksichtslos die nach dem Wagen greifenden Gäste missachtend, bog in die in Flammen stehende Allee ein, überholte zahlreiche panisch Fliehende, die sich mit Sprüngen in Sicherheit bringen mussten, überfuhr krachend liegen gelassene Schalenkoffer und entkam durch den gemauerten Bogen dem brennenden Resort. In einer langen Karawane, ihre Koffer hinter sich herziehend, zogen die Engländer, wie einst die Israeliten, auf der schnurgeraden Straße in die Wüste, eine Kette flackernder Schatten in den rot glühenden Sand werfend. Preising preschte im sicheren Geländewagen an ihnen vorbei, das rußverschmierte Gesicht an die Scheibe gepresst, versuchte er im Schein des lodernden Feuers vergeblich, seine Gefährtin unter den Fliehenden auszumachen. Noch lange blickte er durch die Heckscheibe auf das Inferno, welches seinen flackernden Schein auf die Wüste warf und den Himmel glutrot färbte.

VII
    Saidas Fahrer steuerte den schwarzen Geländewagen ohne Licht durch die mondhelle Nacht. Das schwarze Asphaltband zeichnete sich deutlich vom hellen Sand ab. Irgendwann lenkte er den Wagen von der Straße. Auf einer schmalen Schotterpiste fuhren sie mit eingeschaltetem Licht weiter. Im Kegel der Scheinwerfer stand gelegentlich mit leuchtenden Augen ein verschrecktes Tier, und Preising war, als starrten sie direkt durch ihn hindurch in sein Innerstes, in dem er für immer die blutigen Bilder bewahren würde. Dann warfen sie ihre Hinterläufe in die Luft, verschwanden in der dunklen Wüste und ließen ihn allein mit seinen zwei schweigenden Gefährten. Beinahe unmerklich veränderte sich die Landschaft. Sand und Schotter wichen einer archaischen Felslandschaft. Die Straße stieg steil und kurvenreich an. Wie in einem Uterus aus Sicherheitsglas, cremefarbenem Alcantara und glänzendem Wurzelholz geborgen, durchfuhren sie unter einem makellosen Sternenhimmel eine karge Hochebene. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Dichte Vegetation verdrängte die Wüste.
    «Ich erinnere mich an einen Halt an einem einsamen Gehöft. An einen Olivenbauern, der noch schlaftrunken neben dem riesenhaften Geländewagen stand und ungläubig den Schlüssel umklammert hielt, den ihm Saidas Fahrer in die Hand gedrückt hatte. Wir setzten die Reise in einem alten Peugeot fort. Die kühle Nachtluft zog durch die schlecht schließenden Fenster und verdrängte den säuerlichen Geruch nach verschütteter Ziegenmilch. Im Morgengrauen zeichneten sich die ersten Vororte von Tunis ab. Saida verbarg ihr Gesicht unter einem schmucklosen Kopftuch. In einem Gewerbegebiet hielt der Wagen vor einem Drahtzaun. Ein junger Mann tauchte auf, als habe er uns erwartet, und öffnete das verschlossene Tor. Im ersten Licht des jungen Tages stieg ich vor einem niedrigen Wellblechbau aus dem Peugeot, meine steifen Glieder lockernd, aber man schob mich ungeduldig ins Innere dieses fensterlosen Baus.»
    Schwer zu sagen, was Preising empfand, als man ihn in die neonhelle Halle bugsierte. Schwer zu sagen, wie viel er überhaupt begriff und begreifen wollte, von dem, was er da zu sehen bekam. Die schmalen runden Kinderrücken, die sich über die langen Tische beugten. Die konzentrierte Stille, das Fehlen der Kinderstimmen, das ihn einen Augenblick annehmen ließ, er befinde sich in einer Bildungseinrichtung. Die dunklen kleinen Hände mit den rosa Handflächen, die routiniert elektronische Platinen, Stecker und Schalter in kleine Kunststoffgehäuse einbauten. Der hagere, hoch aufgeschossene Junge mit den dunklen Zügen der südsudanesischen Dinkas, der mit blutverkrusteten Fingernägeln kleine harte Aufkleber von einer Folie zog und präzise in die Ecken kleiner Plastikkästchen klebte. Den roten Prixxing- Schriftzug, den Preising zu erkennen glaubte, und darunter der Slogan Genius of Swiss Engineering, auf den Prodanovic so stolz war und für den Preising viel Geld an eine Zürcher Werbefirma bezahlt hatte. Die Stimme Moncef Daghfous’ in seinem Kopf. Geschickte kleine Kerle. Geschickte kleine Kerle. Das vollgequalmte Büro mit dem kleinen Mann im Gartenstuhl, der nicht einmal mehr die Füße in den ausgetretenen Slippers vom Tisch nahm, als Saida eintrat. Der Fernseher in der Ecke, auf dem zu sehen war, wie das tunesische Volk durch eine üppig dekorierte Villa flanierte. Eine Villa wie jene, in der sich Preising noch keine vier Tage zuvor – konnte das sein, es kam ihm viel länger vor – hatte bewirten lassen. Das schmutzige Glas mit dem starken Tee, das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher