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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht
Autoren: Jennifer Estep
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verfolgen konnte. Als hätte ich nicht schon genug Probleme, ohne dass jeder zu jedem verdammten Zeitpunkt genau wusste, wo ich mich gerade aufhielt.
    O ja, alle schienen jede meiner Bewegungen zu beobachten. Seit dem Schnitterangriff auf das Winterkonzert war es noch schlimmer geworden. Jetzt wussten alle Schüler auf Mythos, dass ich Nikes Champion war – und dass von mir erwartet wurde, uns alle zu retten.
    Sie kannten allerdings nicht alle Details. Sie wussten nicht, dass ich nur irgendein mysteriöses Artefakt finden musste, das es mir angeblich ermöglichen würde, Loki zu töten, der so ziemlich allmächtig und der Inbegriff alles Bösen war.
    Nur kein Druck.
    Nyx legte den Kopf schräg und starrte zu den anderen Schülern auf. Sie gab ein vorsichtiges Knurren von sich, in der Hoffnung, dass jemand in die Knie gehen und sie streicheln würde, doch das leise Geräusch sorgte nur dafür, dass die anderen Schüler vor ihr zurückwichen. Das konnte ich ihnen allerdings nicht übel nehmen. Die meisten Jugendlichen auf der Akademie waren daran gewöhnt, dass mythologische Kreaturen wie Fenriswölfe, Nemeische Pirscher und Schwarze Rocks versuchten, sie umzubringen.
    Ich war die Letzte in der Schlange. Endlich kam der Moment, an dem ich bestellen konnte. Ich musterte die Karte neben der Kasse.
    »Eine Flasche Wasser, eine Riesenbrezel mit Nacho-Soße und einen Schokobrownie, bitte.«
    Schweigen.
    Ich spähte um einen Stapel Blaubeermuffins herum. Auf einem Stuhl hinter der Registrierkasse saß eine Frau und las in einem Klatschmagazin, als wäre es das Interessanteste auf der Welt. Die Frau war alt – sogar älter als Grandma Frost. Ihr langes, weißes Haar schien in das weiße Kleid überzugehen, das sie trug. Ihre Augen waren so schwarz, hell und glänzend wie die eines Vogels, während dunkle Falten sich durch ihr Gesicht zogen, als wäre die hängende Haut dort mit Schatten gefüllt. Die Frau leckte sich über den Daumen und blätterte eine Seite des Heftes um, wobei sie mich vollkommen ignorierte, obwohl ich direkt vor dem Verkaufswagen stand, seit der Wikinger vor mir verschwunden war.
    Ich seufzte. Heute war Raven hier. Ich hätte es wissen müssen.
    Raven führte den Kaffeewagen. Das war einer der vielen Aushilfsjobs, die sie an der Akademie übernommen hatte. Außerdem saß sie im Sicherheitsrat, beaufsichtigte Mitglieder des Protektorats, wenn sie Tatorte aufräumten, und bewachte die Schnitter, die in dem Gefängnis im mathematisch-naturwissenschaftlichen Gebäude einsaßen. Ich wusste nicht genau, warum ausgerechnet Raven all diese Jobs machte, da sie für keinen davon besonders qualifiziert schien und immer in irgendeinem Klatschheft las. Aber irgendwie wurden die Aufgaben immer alle erledigt, und ich ging davon aus, dass sich die Mächtigen von Mythos nur dafür interessierten.
    Ich räusperte mich, und endlich legte Raven ihr Klatschmagazin weg. Ich wiederholte meine Bestellung, und sie bewegte sich von einer Seite des Wagens zur anderen, erhitzte meine Brezel und die Käsesoße in der kleinen Mikrowelle und gab sie mir, zusammen mit einer Wasserflasche und dem Brownie. Ich griff in meine Hosentasche, zog einen Zehn-Dollar-Schein heraus und reichte ihn Raven über den Schalter, wobei ich sorgfältig darauf achtete, dass unsere Finger sich nicht berührten. Denn ich konnte nicht nur Gegenstände blitzen, sondern meine Psychometrie schaltete sich auch jedes Mal ein, wenn ich eine andere Person berührte. Im Moment hatte ich einfach keine Lust, genau zu spüren, wie sehr sich Raven dabei langweilte, am Kaffeewagen zu sitzen und den Schülern heiße Schokolade mit Pfefferminz zuzubereiten.
    Doch als ich sie ansah, schienen ihre Züge für einen Moment zu flackern, als wäre etwas unter ihrem Gesicht verborgen. Genauso wie unter der Oberfläche der Statuen noch etwas lauerte.
    »Eines Tages werde ich herausfinden, was Sie unter all diesen Falten verstecken«, verkündete ich.
    Raven zog ihre buschigen Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Sie hatte noch nie mit mir gesprochen, also hatte ich keine Ahnung, wie ihre Stimme klang – ob sie hell und klar war oder eher das Krächzen einer alten Vettel.
    Raven gab mir mein Wechselgeld, setzte sich wieder auf ihren Stuhl und steckte die Nase erneut in ihr Magazin. Ich verdrehte die Augen, schnappte mir mein Essen und eilte durch den Hauptgang zum Ausleihtresen. Nyx trottete mit klickenden Krallen neben mir her.
    Ich trat an den Tresen, legte mein Essen darauf
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