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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht
Autoren: Jennifer Estep
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fällig war.
    Ich wanderte über den gepflasterten Weg, der sich den Hügel nach oben zog, und betrat den oberen Hof, um den sich die fünf Gebäude gruppierten, in denen die Schüler den Großteil ihrer Zeit verbrachten – das Gebäude für Englisch und Geschichte, das mathematisch-naturwissenschaftliche Gebäude, die Turnhalle, der Speisesaal und die Bibliothek der Altertümer.
    Ich schob das Kinn tiefer in meinen Schal und eilte zur Bibliothek. Trotz der Kälte hielt ich kurz am Fuß der Haupttreppe an, wo die zwei Greifenstatuen standen.
    Adlerköpfe, Flügel, die Körper von Löwen, lange Schwänze, gebogene Schnäbel, scharfe Krallen. Die Greifen wirkten, als stünden sie kurz davor, aus ihrer steinernen Hülle auszubrechen und jeden anzugreifen, der sie auch nur schief ansah. Doch für mich waren sie nicht nur etwas Besonderes, weil sie so wild aussahen. Tief im Stein fühlte ich etwas … einen lebendigen Funken. Ich hatte ihn schon früher gespürt, wann immer ich die Statuen berührt hatte, und auch jetzt konnte ich ihn fühlen. Doch statt mich wie früher mit Entsetzen zu erfüllen, vermittelte mir die Tatsache, dass die Greifen über mich wachten, ein tröstliches, friedvolles Gefühl. Als würden sie zum Leben erwachen und zu Hilfe eilen, falls hier etwas Schreckliches geschah.
    Eine weitere kalte Windböe peitschte über den Hof und brachte mich zum Zittern. Also salutierte ich kurz in Richtung der Greifen, um dann die Statuen hinter mir zu lassen, die Stufen nach oben zu eilen und die Bibliothek zu betreten.
    Draußen mochte es ja kalt, dunkel und düster sein, aber die hohe Kuppel über dem Hauptbereich der Bibliothek verlieh ihrem Inneren eine helle, luftige Aura. Bücherregale zogen sich rings um den runden Raum, mit einem breiten Gang, der mitten zwischen ihnen hindurchführte und zu einer Reihe von mit Glaswänden abgetrennten Büros in der Mitte führte. Der Boden und die Wände bestanden aus Marmor, aber mein Blick glitt sofort zum ersten Stock und den Statuen dort – den Statuen von all den Göttern und Göttinnen aller Kulturen der Welt.
    Die Statuen zogen sich um die gesamte Galerie, und jede von ihnen schaute in die Mitte der Bibliothek, als wachten sie zusammen über die Schüler, die unter ihnen lernten. Schlanke Säulen trennten die Statuen voneinander, obwohl es mir manchmal vorkam, als würden sich die Götter und Göttinnen um die Säulen herumlehnen und sich flüsternd über die Vorgänge unter ihnen unterhalten. Doch das konnte auch meine Psychometrie sein, die mir Streiche spielte, wie sie es so oft tat – besonders wenn es um Statuen ging.
    Ich wanderte den Hauptgang entlang, doch statt hinter den Ausleihtresen zu treten, mich im Computer einzuloggen und mich an die Arbeit zu machen, bog ich nach rechts ab, wo ein Kaffeewagen frei zwischen ein paar Studiertischen und den Regalen stand. Ich reihte mich in die Schlange ein und sog den köstlichen Geruch von heißem Espresso in mich auf, der sich in der Luft mit den sanfteren Düften von Schokolade, Vanille und Zimt vermischte.
    Vielleicht lag es an der Kälte draußen, doch ich war nicht die Einzige, die sich nach einem Getränk oder einem Snack verzehrte. Mehrere Schüler standen vor mir an. Während ich in der Reihe stand, fühlte ich Blicke auf mir ruhen. Nur dass es diesmal nicht die Statuen waren, die mich beobachteten – sondern meine Mitschüler.
    Ich wusste, was sie sahen, wenn sie mich anschauten – ein Mädchen mit violetten Augen und kraus gelocktem braunem Haar, das Nicht-Designerjeans, Turnschuhe, ein graues T -Shirt und einen grauen Pullover unter der purpurn karierten Jacke trug. Nichts davon war besonders außergewöhnlich oder eindrucksvoll, aber die Schüler fingen trotzdem an zu tratschen.
    »Schau. Da ist Gwen Frost.«
    »Ist das ein echter Fenriswolf, den sie dabeihat? Er ist so süß!«
    »Ich frage mich, was sie jetzt vorhat?«
    »Das Gypsymädchen? Wahrscheinlich denkt sie drüber nach, wie sie die Schnitter aufhalten soll. Man sagt, sie sei Nikes Champion …«
    Diese geflüsterten Worte und weitere umwehten mich wie der aufgewirbelte Schnee auf dem Hof. Ich verzog das Gesicht, doch ich konnte nichts anderes tun, als mir den Anschein zu geben, nicht zu hören, dass alle über mich redeten und dass ihre Handys piepten, weil sie ihre Freunde über die letzte Gwen-Frost-Sichtung informierten. Daphne hatte mir erzählt, jemand habe sogar eine App programmiert, mit der man meine Bewegungen auf dem Campus
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