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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz
Autoren: Bettina Broemme
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Beerdigung die Sonne und es war das erste Mal in diesem Jahr richtig warm. Anne schwitzte in ihrer schwarzen Hose und der dunklen Samtjacke, als die kleine Beerdigungsgesellschaft die offene Grube unter den hohen Bäumen des alten Hauptfriedhofs erreicht hatte. Sie erschrak, als sie hinabsah und erkannte, wie tief unter die Erde der Sarg sinken würde. Neben ihr stand ihr Vater, gebeugt im schwarzen Anzug mit einer schwarzen Sonnenbrille auf der Nase. An seinem Arm hatte sich Hedi Aumüller eingehakt, die älteste und wohl einzige Freundin ihrer Großmutter. Wie immer trug sie viele Schichten an Bluse, Weste und Jacke, statt in den von ihr sonst bevorzugten Papagei-Tönen, wie sie es selbst nannte, heute in Schwarz. Sie streichelte immer wieder über Johanns Hand. Wie so oft dachte Anne, was sie darum gegeben hätte, Hedi als Großmutter gehabt zu haben. Heute erschien ihr der Gedanke noch unpassender als sonst und sie verdrängte ihn rasch.
    Neben Hedi, Johann und Anne waren zwei alte Cousinen und ein Neffe der Großmutter erschienen, ein Sohn ihrer älteren Schwester Konstanze, die bereits vor ein paar Jahren gestorben war. Die Trauergemeinschaft setzte sich mitsamt dem Pfarrer, der in seiner Ansprache nicht müde wurde, die religiöse Kraft der Großmutter zu loben, in das nächste Café. Man hatte sich seit Jahren nicht gesehen, man hatte sich nicht viel zu sagen und so fiel das Beisammensein kurz und eher still aus.
    Die kleine Versammlung löste sich schon beinahe auf, als Anne von der Toilette zurückkam und ihren Vater mit Hedi an der Garderobe fand. Sie bemerkten sie nicht und Anne schnappte ein paar Sätze auf, die sie überhaupt nicht verstand.
    »Hast du mit ihr noch einmal geredet vorher?«, fragte Hedi und legte Johann wieder die Hand auf den Arm. Der ließ den Kopf hängen und schüttelte ihn.
    »Ihr habt keinen Frieden gemacht? Johann! Es wäre ihr so wichtig gewesen.«
    »Sie wollte nicht. Jedes Mal wenn ich davon anfing, hat sie…«
    »Ich weiß, wie schwer es ihr fiel, darüber zu reden. Aber sie hat sich nichts sehnlicher gewünscht, als dass du ihr verzeihst.« Johann sah Hedi endlich an. Wieder schwammen Tränen in seinen Augen. Aber auch Wut.
    »Sie hätte Zeit genug gehabt. Außerdem war doch immer ich der Schuldige für sie. Immer!«
    »Nein, das ist nicht wahr. Und das weißt du auch.«
    »Aber sie hat mich so behandelt.«
    Hedi nahm ihm ihre Jacke ab und erblickte dabei Anne. Sie versuchte, Johann unauffällig auf sie aufmerksam zu machen.
    »Was ist?«, fragte Anne, aber Johann schickte sie zu den anderen Gästen zurück.
    »Wir kommen gleich. Alles in Ordnung!«, sagte er.
    Wie sie es hasste! Immer war alles in Ordnung. Nie sprach jemand mit ihr. Als gehöre sie gar nicht zur Familie. Und dabei spürte sie doch, dass etwas nicht stimmte. Dass es brodelte unter der Oberfläche. Seit Jahren schon.
    Mittwoch, 05.05.
    Jeder Tag ist Qual. Nichts weiter. Es beginnt damit, dass der Wecker mit seinem kreissägenartigen Gebrüll die Stille meines Zimmers zerreißt – nur wenige Minuten nachdem ich eingeschlafen bin. Eigentlich beginnt nichts, es hört nämlich nie auf, ein ewiger Kreislauf des Schmerzes. Nach dem nächtlichen Durchwühlen des Bettzeugs, als lauere hinter jeder Falte der Feind, falle ich, sobald das erste Morgenlicht in mein Gemäuer dringt, in düstere Träume. Voller Matsch und Seich und Morast und Schlamm. Fast bin ich dem Wecker dankbar, dass er mich aus diesem Schlachtfeld herausreißt. Aber dann weiß ich sofort, was mir bevorsteht: Wieder ein Tag, an dem ich in sein Gesicht, in seine Fratze schauen muss – und er, er glotzt zurück aus seinen Schweineaugen, die kein Mitleid kennen und keine Gnade. Und keiner ahnt etwas. Was er mir bis vor zwei Jahren antat. Bis der Stimmbruch meiner Attraktivität ein Ende setzte. Und ich dachte, ich wäre der Hölle entronnen. Aber die Hölle ist in mir. Immer. Und dann sitze ich da, während er seinen Unterricht abhält und von Harmonien spricht, und überlege fieberhaft, wie ich ihn quälen könnte. Wie ich ihn mit siedendem Wasser übergieße, ganz langsam, und warte, bis die Haut Blasen wirft und dann ziehe ich die Haut ab, Stückchen für Stückchen, Zentimeter für Zentimeter. Manchmal schreit einer in meiner Nähe auf, weil es plötzlich meine Haut ist, die ich zerfetze, die ich stellvertretend für seine malträtiere, ohne es zu merken. Erst wenn der Schmerz ankommt in meinem müden Kopf, der nicht mehr so denkt, wie ich es will,
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