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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz
Autoren: Bettina Broemme
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gesungen wurde. Doch Fritz von Derking, ihr Musiklehrer und Chorleiter, aufgrund seiner übergroßen Liebe zu Bayern der »Kini« genannt, war froh, gar nicht nachdenken zu müssen, mit wem er die Soloparts besetzen musste. Er bevorzugte Anne sonst in keinster Weise, lobte sie auch nicht überschwänglich vor den anderen, aber dass sie eine solch feste Größe im Chor war, machte sie noch unbeliebter. Anne sang um des Singens willen. Sie fühlte sich frei und schwerelos, wenn die Töne ihre Kehle verließen, sich im Mund formten und die Luft durchflogen wie Vögel den Wald an einem Frühlingsmorgen. Sie vergaß die Welt, wenn sie sang. Mehr wollte sie nicht.
    Als der Gong ertönte und sie wie immer als eine der Letzten hinausging, stieß sie in der Tür mit Cornelius zusammen, der schon wieder sein Smartphone aktiviert hatte und hineinsprach. Anne überlegte nicht, die Worte kamen wie von selbst.
    »Agent Cooper, wie geht es Diane heute Morgen? Grüßen Sie sie bitte von mir«, sagte sie und spürte in ihrem rot angelaufenen Gesicht das Grinsen, das sich anfühlte wie von jemand anderem hineingemalt.
    Cornelius sah sie irritiert an. »Nein!«, rief er theatralisch aus. »Was muss ich aus deinen Worten schließen – eine Connaiseurin, par bleu!«
    Anne musste sich eingestehen, dass sie Cornelius’ leicht verquaste, aber auch irgendwie witzige Art zu sprechen bewunderte. Er unterwanderte die gängigen Mode- und sonstigen Trends ihrer Mitschüler nicht einfach durch Verweigerung, durch einen abgekupferten Punker-Anti-Look oder so etwas, sondern durch die Erschaffung seiner selbst als völlig eigenständiger Person. Blaues Jackett mit abgewetzten Goldknöpfen, kaputte Edel-Jeans oder gar neongrüne oder auch lila Leggins, freakiges T-Shirt – das war seine Uniform. Manchmal trug er eine hornfarbene Nerdbrille, oft Kontaktlinsen – und manchmal waren diese grün, manchmal strahlend blau eingefärbt. Dabei waren seine Augen von einem tiefen, satten Braunton, genau wie seine Haare. Natürlich konnte man die meist nach hinten gekämmten Wellen, die fast bis auf die Schultern reichten, als Dandyabklatsch ansehen, aber oft fielen ihm die Strähnen ins Gesicht, standen vom Kopf ab oder wirkten zerzaust, ohne dass er sich darum gekümmert hätte. Cornelius war einfach anders. Ob er tatsächlich schwul war? Keine Ahnung, überlegte Anne. Was wäre, wenn? Nichts.
    Sie jedenfalls hatte sich ihm gerade offenbart. Und er hatte es angenommen. Ja, auch sie war eine Twin-Peaks- Süchtige, die jede Folge der legendären Fernsehserie von vor über 20 Jahren beinahe auswendig kannte. Irgendwann hatte sie im Haus der Großmutter einen Karton voller alter Videokassetten entdeckt, und da das passende Abspielgerät in funktionsfähiger Form tatsächlich noch vorhanden war, hatte sie sich einsame Tage bei der Großmutter mit den Kassetten verkürzt. Anne war von der ersten Sekunde an fasziniert gewesen. Wie gebannt hatte sie auf den Bildschirm gestarrt. Schon die gleichermaßen melancholische wie unheilvolle Titelmusik hatte sie verzaubert. Sehnsucht schwang darin mit, ein bisschen Kitsch – der sofort gebrochen wurde von merkwürdigen Bildern von Rotkehlchen, qualmenden Fabrikschloten und sprühenden Metallsägefunken. Noch dazu war alles so behäbig und langsam geschnitten, wie man es heutzutage im Fernsehen nicht mehr zu sehen bekam. Und trotzdem ging ein Sog davon aus, dem sich Anne nicht hatte entziehen können. Und Cornelius offensichtlich auch nicht.
    »Wie bist du an Twin Peaks geraten?«, fragte Anne, während sie den Neubau-Gang entlang hinüber zu ihrem Klassenzimmer im Altbau der Schule gingen.
    »Ich weiß gar nicht mehr so genau«, antwortete Cornelius und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Ältere Typen in meiner Schule in Bangkok hatten die DVDs. Die haben wir uns dann abends zusammen angeschaut. Die meisten haben spätestens aufgehört, als der Laura-Palmer-Mörder feststand – aber ich habe am Ende gleich wieder mit dem Anfang begonnen.«
    »Versteh ich gut! Ich hab die alten VHSen meines Vaters so lange geschaut, bis sie total ausgeleiert waren.« Sie lachte.
    Cornelius blickte sie nachdenklich an. »Dass du, also ausgerechnet du…« Er grinste ein wenig entschuldigend. »Hätte ich nicht gedacht, dass du die Serie magst.«
    Anne zog die Schultern hoch. »Ich weiß. Ich gelte gemeinhin als langweilig.«
    Er legte spontan eine Hand auf ihre Schulter. »Nein, pardon, so habe ich das wirklich nicht gemeint.« Er
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