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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition)
Autoren: Zoë Marriott
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Sie war mein einziger Schutz vor diesen beiden fremden Männern. Ich wollte nicht mit ihnen allein sein.
    Der Gesichtsausdruck der Frau wurde weicher, doch sie schüttelte den Kopf.
    »Es tut mir leid, Kind. Ich habe alles, was in meiner Macht stand, für dich getan. Sag einfach die Wahrheit, dann wird alles gut, da bin ich sicher. Und ruh dich eine Weile aus, ja? Das nächste Mal überstehst du nicht.«
    Nachdem sie mir einen Blick zugeworfen hatte, der mir wahrscheinlich Mut machen sollte, ging die Heilerin zur Tür. Ich schloss die Augen vor der gleißenden Sonne; als ich sie wieder öffnete, war sie verschwunden und die Tür hinter ihr geschlossen. Der Ziegenhirte lehnte dagegen, als wolle er sichergehen, dass ich nicht noch einmal zu fliehen versuchte. Der andere Mann nahm den Platz der Heilerin auf dem Schemel neben der Matratze ein. Er verschränkte seine langen, sehnigen Finger ineinander und beugte sich vor, offenbar wartete er darauf, dass ich etwas sagte.
    Obwohl er saß, konnte ich erkennen, dass er größer war als der andere, wenn auch nicht so stämmig; seine langen Gliedmaßen fügten sich mit Anmut in den begrenzten Raum. Er sah aus, als wäre er höchstens zwanzig. Seine Haut war hell, leicht gebräunt und er hatte sehr lange Haare. Vielleicht sogar länger als meine. Sie hatten die satte, dunkelgoldene Farbe von Blütenhonig und waren von helleren Strähnen durchzogen. Er hatte sie aus der breiten Stirn gekämmt und zu einem einfachen Zopf geflochten. Der glänzende Strang fiel über eine muskulöse Schulter. Sein Gesicht war herzförmig, das Kinn kantig und entschlossen, die Nase eine dünne Klinge. Wenn der Ziegenhirte ein Leopard war, unbarmherzig und muskelstrotzend, dann war dieser ein Raubvogel. Schön und todbringend.
    Es war unglaublich. Dieser Mann hatte – mit Hilfe des Ziegenhirten – tatsächlich den Wolf niedergerungen. Ohne ihn zu töten. Ohne mich zu töten.
    Mir wurde bewusst, dass er mich ebenso durchdringend musterte wie ich ihn, seine Stirn war nachdenklich gerunzelt. Durch den vergitterten Schlitz in der Tür fiel ein Lichtstrahl auf seine Augen. Sie waren wie tiefes, stilles Wasser – so blau, dass sie in einem bestimmten Licht wahrscheinlich fast schwarz aussahen.
    »Na, bist du stolz auf dein Werk?«, fragte er.
    Seine Stimme klang tief für einen jungen Mann und trügerisch sanft. Mein Blick folgte seinem Zeigefinger zu seiner Stirn, wo ich nun eine rote, geschwollene Stelle bemerkte, die deutlich der Abdruck meiner Handknöchel erkennen ließ.
    »Das war ein Volltreffer«, fuhr er fort. »Es schaffen nicht viele, mich derart zu überrumpeln. Aber ich würde gern den Grund wissen. Warum rettest du Arian zweimal und greifst uns dann an? Was bist du?«
    Ich konnte nicht sprechen. Mein Herz pochte wild und jeder ohrenbetäubende Schlag nahm mir die Luft aus den Lungen. Was bist du? Was sollte ich darauf antworten? Ich wusste es doch selbst nicht.
    Er seufzte. »Schweigen ist taktisch unklug. Wenn du dich weigerst meine Fragen zu beantworten, muss ich vom Schlimmsten ausgehen. Obwohl du, falls du wirklich eine Mörderin bist, heute eine sehr seltsame Strategie angewendet hast.«
    Ich versuchte zu antworten, die Anschuldigung abzustreiten, doch die Worte blieben mir in der Kehle stecken und erstickten mich fast. Sag etwas! Sag irgendetwas!
    »Seltsam oder nicht, es hat beinahe geklappt«, schaltete sich der Ziegenhirte ein. »Du kannst von Glück sagen, dass es dir nicht gelungen ist, Mädchen. Luca hat mich vorhin davon abgehalten, die Sache zu Ende zu bringen, aber wenn es nach mir ginge, wärst du längst tot.«
    Die ausdruckslose Kälte seiner Augen machte mir klar, dass er es ernst meinte.
    »Ich bin k-keine Mörderin«, stotterte ich und zwang mich, die Worte auszusprechen. »Ich w-wollte niemanden verletzen. Ich habe bloß versucht zu helfen.«
    »Wir haben dich nicht um deine Hilfe gebeten«, entgegnete der Ziegenhirte scharf.
    »Man sollte Menschen nicht bitten müssen! Ich dachte, die Räuber wollten dich umbringen! Ich konnte nicht einfach dasitzen und zusehen.« Ich blickte wieder zu dem anderen Mann – Luca. »D-dann warst plötzlich du da. Ich dachte, ich wäre in eine Falle geraten. Es tut mir leid, dass ich dich angegriffen habe – aber ich habe P-Panik bekommen. Ich glaubte mich verteidigen zu müssen.«
    Die dunkelblauen Augen wurden zu nachdenklichen Schlitzen. »Die Falle galt nicht dir. Wir haben versucht den Unterschlupf einiger Räuber aufzuspüren,
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