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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr
Autoren: Horst Biernath
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auf eine Gärtnerei, im zweiten Stockwerk eines Hauses in der Bachstraße, und zu meinen Pflichten gehörte es, Mutters Freundin aus dem Rollstuhl zu heben und zu unserer Wohnung emporzutragen. Das federleichte alte Mädchen, das mir als ein heiteres, immer gut gelauntes Wesen in Erinnerung steht, unterließ es nie, tief aufzuseufzen und den Damen des Kränzchens zu versichern, wie sehr es sie durchwärme und wie wohl es ihr tue, einmal in den Armen eines jungen Mannes zu liegen. Ich hörte das immer mit einiger Verlegenheit. —
    Das liegt nun fünfzig und noch einige Jahre mehr zurück, und ich habe es auch nur erwähnt, um zu erklären, weshalb ich auch in späteren Jahren, solange Mutter lebte, durch ihren an meinen Geburtstag erinnert wurde, recht lange sogar, denn sie wurde zweiundneunzig Jahre alt. In diesem Jahr nun fiel mein Geburtstag auf einen Sonntag, und wie immer in die großen Ferien. Töchter, Schwiegersöhne und Enkel aalten sich irgendwo an der italienischen oder jugoslawischen Adriaküste und schickten von dort prächtige bunte Ansichtskarten mit herzlichen Grüßen und Wünschen. Ich steckte gerade im Anfang einer neuen Arbeit und hatte nicht die geringste Lust, mich darin stören zu lassen. Aber dann erschien unsere Jüngste, deren Geologenmann seit dem Beginn des Jahres mitten im brasialianischen Urwald öl oder Uran zu entdecken hoffte, mit unserem achtjährigen Enkel Wolfgang und mit zwei sündhaft teuren Flaschen Denis Mounié, auf deren Etikett zu lesen stand, daß er der Lieblings-Cognac der englischen Königin sei. Ich muß bestätigen, daß die Königin einen ausgezeichneten Geschmack besitzt.
    Es war ein schöner, etwas föhniger Sommertag. Die Alz, die sich unterhalb unseres kleinen Hauses vor einem Betondamm auf die Breite von mehr als hundert Metern staut, hatte die angenehme Wassertemperatur von 21 Grad, was nicht immer der Fall ist, denn die Traun, die sich unterhalb des Altenmarkter Wehrs in unseren Badefluß ergießt, bringt oft sehr kaltes Wasser heran. Vom Kaffeetisch aus, den die Frauen auf der Terrasse deckten, sah man, in zarten Blautönen gegen den Horizont getuscht, die großen Landschaftswächter des Chiemgaues, den Hochfelln und den Hochgern.
    Wir waren am Vormittag zweimal im Wasser gewesen. Die Alz hat eine kräftige Strömung, mit ihrem starken Gefälle ist sie der schnellste von den oberbayerischen Flüssen. Wenn man fünf Minuten lang gegen den Strom schwimmt und sich dabei auf der Stelle hält, hat man das tägliche Trimm-dich-Pensum geschafft. Natürlich hatte Wolfgang die Badehose mitgebracht, vielmehr, er war schon daheim nur mit der Badehose bekleidet in den Wagen geklettert und zerrte mich, kaum, daß er sein Geburtstagssprüchlein heruntergeleiert hatte, zum Wasser und zum dritten Bad an diesem Tage. Und selbstverständlich war unsere geradezu wassernärrische Boxerhündin Bobbi mit von der Partie, die einzige von uns, die mühelos gegen den Strom schwamm und dabei noch nach Steinen und treibendem Holz tauchte. Nach einer Viertelstunde wurden wir zum Kaffee gerufen, zur Feier des Tages gab es Apfelkuchen mit Schlagrahm, und dann streckten wir uns im Halbschatten eines hochgewachsenen Goldregenstrauches in die Liegestühle. Und dann kam, während der Hund im Schatten meiner Liege hechelte und nach Fliegen schnappte, wie immer in dieser Stunde des Dösens, von unten herauf Wolfgangs Bitte, denn er hatte es sich neben dem Hund auf dem Rasen bequem gemacht: »Erzähl was, Opa. Die Geschichte vom Wundergroschen — oder wie der Russe deinem Großvater die Uhr klaute — oder die Geschichte von den Seifenblasen — oder ganz was Neues...«
    Wie oft habe ich ihm und den anderen Enkeln diese Geschichten erzählen müssen. Wie die Märchen vom Rotkäppchen oder vom Schneewittchen konnten sie sie nicht oft genug hören, und als wären es Bibeltexte, achteten sie streng darauf, daß nicht das geringste Detail ausgelassen oder daß irgend etwas daran geändert wurde. Es war, als verbürge der genaue Text die Glaubwürdigkeit meiner manchmal mit ein wenig Phantasie ausgeschmückten Geschichten, denn die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit geht zumeist auf Plattfüßen.
    Man sagt, es sei ein Alterszeichen, wenn man oft in die Vergangenheit blicke. Das mag wahr sein. Aber ich habe diese von den Eltern und Großeltern gehörten, übernommenen oder in ihrer Gegenwart erlebten Geschichten immer als einen Teil meiner selbst empfunden, wie die von den
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