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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr
Autoren: Horst Biernath
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abgemagert, war erst vor vier Tagen gestorben, weil er ein Stück fetten Schweinebauchs allzu gierig in sich hineingeschlungen hatte. Wahrscheinlich haben wir uns an Mutters Warnungen gehalten, denn wir kamen alle gesund über die Feiertage.
    Von Ernst war Anfang Dezember ein Feldpostbrief gekommen, in dem er uns schrieb, daß er zu Weihnachten Urlaub zu bekommen hoffe, daß es aber nicht sicher sei, weil er hinter den verheirateten Männern seiner Batterie zurückstehen müsse. Er lag mit seinem Regiment jetzt irgendwo im Westen zwischen Verdun und Cambrai, wo die Fronten seit langer Zeit im Stellungskrieg erstarrt waren. Ich war sehr stolz auf ihn, denn er war inzwischen zum Oberleutnant und Batteriechef befördert worden. Ich konnte es gar nicht verstehen, daß ihn weder die Beförderung noch das Eiserne Kreuz besonders stolz oder glücklich zu machen schienen. Aber ob er nun Urlaub bekommen würde oder nicht, für jeden Fall bat er Mutter in seinem Brief, ihm, wenn sie es irgendwie schaffen könne, wollene Socken und Pulswärmer zu schicken, denn leider sei es auch in Frankreich saukalt. Mutter war es gelungen, zwei Paar Socken aus guter, dicker Schafwolle aufzutreiben, und die erwünschten Pulswärmer hatte sie ihm aus einer aufgerebbelten Wolljacke selber gestrickt. Als Weihnachtsgeschenke legten wir einen Beutel Tabak, zwei Zigarren und einige
    Stücke von dem harten Pfefferkuchen, den Mutter aus dunklem Mehl gebacken hatte, in das Feldpostpäckchen. Kurz vor den Feiertagen kam eine Karte, daß es mit dem Urlaub nun doch Essig sei, denn die Franzosen seien wieder einmal recht munter, und die Urlaube seien auch für die verheirateten Leute gestrichen worden. Es klang ganz leicht und heiter... Zwischen Weihnachten und Neujahr kam das Feldpostpäckchen, das wir abgeschickt hatten, mit dem Aufdruck >UNZUSTELLBAR< zurück. Mutter ahnte Schlimmes, aber um Vater nicht zu beunruhigen, verschwieg sie es ihm. Der Brief des Kommandeurs, daß Ernst zusammen mit fünf Männern seiner Batterie am 18. Dezember in tapferer und treuer Erfüllung seiner Pflichten für Kaiser und Reich durch einen Volltreffer einen schnellen und leichten Soldatentod gestorben sei, erreichte uns in den ersten Tagen des neuen Jahres.
    In kurzem Zeitabstand hatte ich den geliebten Großvater und den als Helden bewunderten Bruder verloren. Aber daß der Tod eine endgültige Trennung bedeutete, ging wohl über mein Vorstellungsvermögen hinaus. Im Herzen war ich fest davon überzeugt, daß der gütige alte Mann mich eines Tages wieder von seinem Fensterplatz zu sich heranwinken werde, und daß ich den Bruder über seinen Büchern im Turmzimmer, von Rauchwolken aus der langen Pfeife eingenebelt, wiederfinden würde. Ich weiß es nicht und ich glaube es auch nicht, daß mich mit meinen zwölf Jahren damals schon Zweifel zu bedrängen begannen, ob diese Welt, in die ich gewollt oder zufällig hineingestellt worden war, wirklich die beste aller denkbaren Welten sei. Ich meine, daß ich noch lange Jahre in den gegenwärtigen Tag und in die gegenwärtige Stunde hineinlebte, ohne mir viele Gedanken zu machen und ohne mir dessen bewußt zu werden, welche Wandlungen und Veränderungen sich auf dem Planeten vollzogen hatten, auf dessen sausender Fahrt durch den Weltraum ich erst ein kleines Stück meines Lebens mitgereist war.
    Weshalb hätte ich mir auch Gedanken machen sollen? In dem Garten von Opa Gutbrod kümmerte es die Obstbäume auch nicht, ob Krieg oder Frieden war. Sie blühten im Frühling, und an ihren Zweigen reiften die Butterbirnen und Goldparmänen dem Herbst und der saftigen Süße ihres Fruchtfleisches entgegen. In den Wäldern von Groß-Raum und Metgethen drängten sich Steinpilze und Reizker aus dem weichen Moos ans Licht. Und in Cranz und Rauschen hingen die Flundern an langen Schnüren aufgereiht golden und fett über den Rauchfeuern aus Torf und Wacholder. Der Prozeß der Veränderung brach ja auch nicht so plötzlich herein, daß man seiner eines Tages, wie von einer Flutkatastrophe oder von einem Vulkanausbruch jäh aufgeschreckt, gewahr wurde. Das Gefühl, von der rollenden Erdkugel, die mich in den Kinderjahren trug, herabgeschleudert und auf einen fremden Planeten geworfen zu sein, stellte sich erst später ein, und mit voller Deutlichkeit eigentlich erst in diesen Tagen und Monaten, in denen aus dem Gedächtnis, erst zögernd und dann williger, als hätte ich sie am Eingang der Unterwelt durch ein Blutopfer beschworen, aus den
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