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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr
Autoren: Horst Biernath
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wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischen käme, würde ich im nächsten Jahr Onkel werden.
    Von Ernst erfuhr ich, daß er gleich nach Kriegsausbruch zum Feldartillerieregiment Nr. 37 nach Insterburg einberufen worden war und auf dem Weg nach seinem Gestellungsort um ein Haar den Russen in die Hände gelaufen wäre, die Insterburg schon besetzt hatten. Seinem Regiment war es gerade noch gelungen, sich mit allen Geschützen nach Königsberg abzusetzen, und dort diene er jetzt als Rekrut in der Kaserne am Steindammer Tor. Und Mutter sagte, sie habe schwere Wochen hinter sich, denn Tante Grete habe mit Onkel Karl und ihren drei Kindern im letzten Augenblick aus Stallupönen fliehen können, und sie hätten über drei Wochen lang zu fünft bei uns gelebt. Aber jetzt hätten sie in unserer Nähe ein Zimmer in der Mozartstraße bezogen, den kleinen Walter habe Tante Elma zu sich genommen, und nur Hans und Trudchen seien noch bei uns und ich müsse mein Zimmer mit ihnen teilen. Das empfand ich keineswegs als eine unangenehme Nachricht.
    Leider hielt die weiche Stimmung, mit der Vater mich vom Bahnhof abgeholt hatte, gar nicht lange vor, denn als ich daheim in der Wohnung angekommen, die Pappschachtel mit meinen Kriegsandenken auspackte und das Bajonett und den Trommelrevolver herausholte, da war es schon mit der Gemütlichkeit vorbei. Vater knurrte, auf den Einfall, mich solche Mordinstrumente mitnehmen zu lassen, könnten auch nur die Alten in Lyck kommen, und er nahm mir die beiden besten Stücke meiner Andenkensammlung an die Besetzung und Befreiung von Lyck einfach weg und verschloß sie im Kleiderschrank. Das dämpfte meine Freude, wieder zu Hause zu sein, erheblich. Aber der richtige Dämpfer kam erst am nächsten Tag, als er sich eine Stunde dienstfrei nahm, um mich in die Schule zu begleiten. An die hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht. Es waren die letzten Tage vor den Herbstferien und vor der Verteilung der Versetzungszeugnisse meines Michaelis-Cötus nach Quinta. Ich hatte die Schule fast eineinhalb Monate lang versäumt und Vater befürchtete, daß man mich sitzen lassen werde. Aber unser Klassenleiter, der ITerr Dr. Latte, beruhigte ihn und sagte, meine Leistungen seien so zufriedenstellend gewesen, daß er keine Bedenken habe, meine Versetzung nach Quinta zu befürworten. Allerdings hätte ich die vierte und fünfte lateinische Konjugation und manches andere versäumt, und er halte es für das beste, wenn Vater mir zum Einholen dieser Versäumnisse in den Herbstferien Nachhilfeunterricht erteilen lassen würde. Er empfahl Vater sehr warm ein Fräulein Schwendowius in der Magisterstraße, die dieses Geschäft bei mäßigen Honoraren mit großem Erfolg betreibe. Vater bedankte sich bei Herrn Dr. Latte mit ausgesuchter Höflichkeit, obwohl ihm Schulmeister doch ein Greuel waren, und setzte sich noch am gleichen Nachmittag mit Fräulein Schwendowius in Verbindung, die ihm versprach, mich in den Herbstferien jeden Nachmittag zwei Stunden lang gehörig dranzunehmen, so daß ich den Anschluß an die Klasse ohne Schwierigkeiten finden würde. Das wurden bittere Herbstferien, soweit man überhaupt von Ferien sprechen konnte, denn Fräulein Schwendowius, eine pensionierte Lehrerin, die einen Zwicker trug und fürchterlich schielte, entdeckte in meinem Wissen mehr Lücken, als sie vermutet hatte, und nahm mich Nachmittag für Nachmittag nicht zwei, sondern meistens drei und vier Stunden tüchtig dran. Die Stunde kostete zwei Mark, und Mutter jammerte, daß ich ihr den ganzen Haushalt durcheinander brächte. Aber Vater sagte, sie solle nicht jammern, denn ein verlorenes Jahr sei bedeutend teurer. Und das sah sie auch ein.
    In diesen Herbstferien grassierte eine Diphteritis-Epidemie, die für Tante Grete und den gelähmten Onkel Karl einen neuen Schicksalsschlag brachte. Mein Cousin Hans und meine Cousine Trudchen, die mit mir zusammen auf einem großen Matratzenlager in der Glasveranda kampierten, bekamen am gleichen Tag Halsschmerzen und Fieber und starben bald darauf am gleichen Tag und fast zur gleichen Stunde. Die Eltern machten sich um mich die größten Sorgen, aber Oma Gutbrod beruhigte sie und sagte, sie kenne ein unfehlbares Mittel gegen alle Ansteckungskrankheiten, und mir werde genauso wenig passieren wie ihren Enkeln Rudi und Helmut, wenn ich wie die beiden in jeder Backe hinter den Zähnen eine Gewürznelke im Mund trüge, möglichst auch in der Nacht. Drei Wochen lang lief ich mit zwei scharfbitter
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