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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr
Autoren: Horst Biernath
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ihre Taschenuhren heraus, und der Kosak mit dem Revolver feuerte zum Abschied einen Schuß in die Kellerdecke. Die Frauen schrien auf und Großmutter zitterte am ganzen Leibe und bejammerte den Verlust der kostbaren Schweizer Uhr, die Onkel Walter dem Großvater zum fünfzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Aber Großvater tröstete sie liebreich und sagte: »Scheiß auf die goldene Uhr, Krümelchen, ich habe ja noch meine alte Nickelzwiebel. Die Hauptsache ist, daß wir heil durchkommen. Und jetzt wollen wir auf den Schreck alle einen verlöten!« Und Großmutter griff unter ihren weiten Rock und holte eine von den drei Flaschen Jamaica-Rum, die sie zur Erhaltung von Großvaters Lebensgeistern verwahrt hatte, aus ihrem Geheimversteck und ließ sie reihum gehen. Als sie zu Großmutter zurückkam, war sie bis auf einen kleinen Rest leer, denn alle, auch die Frauen, hatten einen richtigen Tröstungsschluck nötig gehabt.
    Noch am gleichen Abend hörte man in der Ferne den Donner von Geschützen. Einige Granaten schlugen in der Nähe unseres Hauses ein, und eine zerstörte den Kirchturm, auf dem die Russen einen Artillerie-Beobachter postiert hatten. In der Nacht war die Stadt von Bränden hell erleuchtet, in manchen Häusern hatten die Russen Feuer gelegt, andere waren von unserer Artillerie in Brand geschossen worden. Die Russen setzten sich in wilder Flucht nach Osten ab, sie ließen ihre Toten und die Schwerverwundeten zurück, und einen toten russischen Hauptmann, der sich noch mit letzter Kraft ins Haus geschleppt hatte und dort verblutet war, fanden Strademanns, denen die Wohnung links im Parterre gehörte, in ihrer Küche. Ich durfte ihn nicht sehen. Die Männer schafften ihn aus dem Hause, und dort lag er, mit einem von Großmutters Bettlaken zugedeckt, bis zum nächsten Tage. Es wurde noch eine Zeitlang hin und hergeschossen, aber dann rückten unsere deutschen Soldaten ein, und alle Menschen weinten und jubelten, daß sie nun endlich von den Russen befreit worden waren. Nur Großmutter jubelte nicht, denn sie hatte alle Hände voll zu tun, um die verwüstete Wohnung in Ordnung zu bringen. Immer wieder sagte sie, die Russen hätten wie die Vandalen gehaust, aber am meisten empörte sie, daß ihr die Russen nicht nur die Schranktüren eingetreten,
    alle Schubladen herausgerissen, die Matratzen zerschlitzt und eine Menge Glas und Porzellan zerschlagen hatten, einer von den Schweinekerlen hatte ihr mitten auf den runden Mahagonitisch im Eßzimmer einen riesigen Haufen hingesetzt. Großvater konnte nur den Kopf schütteln und meinte, ganz abgesehen davon daß es in der ganzen deutschen Armee keinen Soldaten gebe, der zu solch einer gigantischen Leistung fähig sei, sei solch eine Sauerei im ganzen siebziger Krieg nicht vorgekommen, da hatte es schon einen Mordskrach gegeben, wenn es mal einer gewagt hatte, in den Schlössern Lothringens oder der Champagne in die Vasen zu pinkeln.

    Obwohl Lyck nun von der Russenherrschaft befreit war, dauerte es doch noch lange, bis die Züge wieder liefen und bis ich zu den Eltern nach Königsberg zurückfahren konnte. Als mich die Großeltern sichtlich erleichtert in den Zug setzten, war es September geworden. Am Reisegepäck hatte ich schwer zu schleppen, denn neben einem Dutzend großer Granatsplitter, die ich als Kriegsandenken in den Straßen aufgelesen hatte, brachte ich einen siebenschüssigen russischen Nagan-Revolver, ein langes russisches Bajonett, einen Haufen Patronenhülsen, kupferne Führungsringe von Granaten und eine Handvoll russischer Kokarden mit, lauter Dinge, mit denen ich einen schwungvollen Handel zu betreiben gedachte. Ich war richtig froh, wieder nach Hause zu kommen, denn in Lyck war es mir unter lauter alten Leuten doch sterbenslangweilig geworden. Daß sie sich daheim freuen würden, mich nach so langer Zeit wiederzusehen, hatte ich mir schon gedacht, aber daß sie
    mich begrüßten und abküßten, als ob ich von den Toten auferstanden sei, hatte ich doch nicht erwartet. Sogar Vater, sonst eher zurückhaltend mit seinen Gefühlen, wischte sich dauernd die Augen und beklopfte und betätschelte mich von allen Seiten, als könne er es nicht glauben, daß ich wieder heil und gesund bei ihm sei. Auch Else war zu meinem Empfang auf die Bahn gekommen, doch sie fuhr nicht wie wir mit der Elektrischen heim, sondern in einer Droschke, weil ihr auf der Straßenbahn in letzter Zeit manchmal schlecht geworden war, aber Mutter sagte, es sei keine Krankheit, sondern
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