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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr
Autoren: Horst Biernath
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selber durchs Bein geschossen und später mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, was damals bei Gefreiten gewiß nicht allzu häufig geschah. Bald darauf wurde er zum Unteroffizier befördert und nach seiner Entlassung, was eigentlich nur langdienenden Soldaten vorbehalten war, als Militäranwärter für eine Beamtenlaufbahn im mittleren Dienst empfohlen. Er brachte es darin bis zum Rechnungsrat und zum roten Adlerorden vierter Güte. Als er heiratete, war er Supernumerar beim Amtsgericht zu Tilsit, und da Supernumerar meiner Kenntnis nach einen Überzähligen bedeutet, möchte ich annehmen, daß sein Gehalt, wenn er überhaupt eins bekam, nicht zum Leben und nicht zum Sterben langte. Die lebensnotwendigen Einkünfte bezog er aus dem Kopieren von Akten, einer Tätigkeit, für die er einen Pfennig pro Zeile bezog. Davon blieb ihm wohl eine Eigentümlichkeit bis an sein Lebensende. Im Schlaf oder wenn er sich unbeobachtet glaubte, zitterte seine Hand in Schreibbewegungen über imaginäre Oktavbögen.
    Was nun die Geschichte oder vielmehr Vorgeschichte ihrer Hochzeit betrifft, so weist sie fraglos pikante Züge auf. Großmutter hatte mit ihren Geschwistern einen Schulweg von etwa einer Meile zurückzulegen, im Sommer zu Fuß, im Winter bei hohem Schnee fuhr ein Knecht die Kinder mit dem Schlitten zur Schule und holte sie mittags von dort ab. Mit von der Partie waren die Kinder eines Nachbarn, des Viehhändlers Supplieth, der nebenbei eine kleine Gastwirtschaft betrieb. Großmutter und Eva Supplieth standen im gleichen Alter und waren und blieben bis in ihre Witwenschaft innig befreundet. Sie hatten, als sie im gleichen Jahr 1917 ihre Männer verloren, sogar die Absicht, eine gemeinsame Wohnung zu beziehen, aber aus dem Plan wurde nichts, weil die geborene Supplieth ihrem Mann nach wenigen Monaten in den Tod nachfolgte. Eva Supplieth heiratete mit siebzehn Jahren einen Ziegeleibesitzer namens Kallweit, der seine Ziegelei in der Piktupöner Gegend betrieb. Sie machte das, was man damals >eine gute Partie< nannte. Er war zehn Jahre älter als sie, Reserveoffizier und Vorstand memelländischer Krieger- und Veteranenvereine. Großmutter machte die Hochzeit als Brautjungfer mit, und Großvater, noch im ziemlich frischen Glanz seiner Heldentaten und des Eisernen Kreuzes im Vorstand seines Kriegervereins tätig, wurde vom Bräutigam zur Hochzeit geladen. Zur Überraschung aller ihrer Freunde und Bekannten heirateten sie vier Monate nach der Kallweitschen Hochzeit, und am meisten überrascht waren sie wohl selber, denn als sie nach der kirchlichen Trauung von Eva Supplieth mit Herrn Kallweit in ihren Kaleschen vor dem stattlichen, eigentlich schon herrschaftlichen Hause des Ziegeleibesitzers Kallweit vorfuhren, wo die Hochzeitsfeier stattfand — denn das Elternhaus von Eva Supplieth war zu klein, als daß man dort eine Feier für weit mehr als hundert Gäste hätte ausrichten können — da hatten sie noch keine Ahnung davon, daß ihr eigenes Aufgebot sozusagen schon vor dem Kirchenportal hing. Natürlich kannten sie einander, denn wen kannte man in jener ländlichen Gegend nicht, aber genauso wie Großmutter es bis zu diesem Tage und bis zu einer gewissen, äußerst peinlichen Situation entrüstet abgelehnt hätte, würde jemand den Gedanken ausgesprochen haben, sie könne sich mit diesem ungeschlachten Goliath< ehelich verbinden, so hätte auch Großvater bis zu eben jener gewissen Minute nicht im Traum daran gedacht, sich ausgerechnet solch ein Filigranfigürchen als Frau auszusuchen. Denn so wie sein Geschmack beim Essen auf das Kompakte ausgerichtet war, hatte er sich auch unter seiner zukünftigen Frau immer etwas Üppigeres vorgestellt, was auch in der Größe besser zu ihm paßte. Aber wie es eben geht,
    Ehen werden nicht nur im Himmel und nach eigenen Vorstellungen geschlossen, sondern auch anderenorts, und manchmal sogar an sehr seltsamen und höchst unpassenden Orten...
    Im Kallweitschen Hause jedenfalls, einem weiträumigen, ehemaligen Herrenhaus eines Gutshofes, den der Vater des Hochzeiters bei einer Subhastation vor langen Jahren ersteigert hatte, wurde eine fröhliche und sehr feuchte Hochzeit gefeiert, bei der es zuerst die bei solchen Gelegenheiten üblichen Schleie in Dill, und dann in einer langen Speisenfolge gebratenes Geflügel aller Sorten, Spanferkel, Wild, Schweinebraten und gespickten Kalbsrücken in einer dicken Rahmsoße gab. Und es gab Erdbeeren mit Schlagsahne und es gab sogar eine riesige
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