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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr
Autoren: Horst Biernath
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Eisbombe, deren Zubereitung in jenen Jahren gewiß schwieriger war als heutzutage, wo Eisschrank und Tiefkühltruhe sozusagen zur Standardausrüstung jeder Küche gehören. Sie aßen also und tranken auch, was nur in sie hineingehen wollte. Die Begriffe Kalorien und Herzinfarkt existierten noch nicht. Um zwölf Uhr wurden die Schleie aufgetragen, und um drei war man beim Rehrücken angelangt, aber dann folgten noch immer einige Gänge. Kurz vor dem Rehrücken gab es einen kleinen, vielbelachten und glückverheißenden Zwischenfall mit einer Menge Scherben. Des Bräutigams Onkel Bernhard, ein Brennereibesitzer und Schnapsfabrikant, dessen Bärenfang bis nach Königsberg und Allenstein geliefert wurde, klopfte an sein Glas, um auf das junge Paar einen Trinkspruch auszubringen. Zum Glück bemerkte Tante Ottilie, seine Gattin, rechtzeitig, daß an seiner Kleidung etwas nicht ganz in Ordnung war. Sie ersuchte ihn flüsternd, den Hosenschlitz um Himmels willen zuzuknöpfen, und er tat es unterm Tisch, bevor er sich erhob, um das Brautpaar hochleben zu lassen. Aber als er dann zum Anstoßen zu den jungen Leuten hinüberging, riß er das Tischtuch mit allen Gläsern, Tellern und Schüsseln mit sich. Er hatte sich nämlich eine der langen Fransen des Tafeltuches mit eingeknöpft. Es gab eine Menge Scherben.
    Wenn man heute solch eine Dinerkarte aus jenen vergangenen Tagen liest, dann erstaunt einen nichts mehr als die Tatsache, daß die Menschen diese Freßorgien heil überstanden haben, von den genossenen Flüssigkeiten ganz zu schweigen. Um so unverständlicher aber ist es, daß gewisse Örtlichkeiten, die heute im schlichtesten Einfamilienhaus strahlend appetitlich und so komfortabel ausgestattet sind, daß man oft den Eindruck gewinnt, das übrige Haus sei nur aus purem Zufall um Klo und Bad herumgebaut worden, sich zu jener Zeit, zumal auf dem Lande, oft genug außerhalb des Hauses befanden oder, wenn es sie innerhalb der Mauern gab, nicht nur jeden Komfort, sondern zumeist auch Luft und Licht in höchst bedauerlicher Weise vermissen ließen. Im Kallweitschen Hause zum Beispiel, in dem es einen richtigen Festsaal und wenigstens ein Dutzend geräumiger Zimmer gab, befand sich die einzige Örtlichkeit dieser Art im Erdgeschoß. Sie bestand aus einem dunklen, schlauchartig gestreckten Gemach, das genauso breit oder so schmal wie die dazu führende Tür war, und die bewußte Gelegenheit, ein grobes Brett mit einem eiförmigen Loch, befand sich unterhalb eines winzigen, schießschartenähnlichen Fensterchens am äußersten Ende. Zumeist verhüllte zudem dichter Tabaksqualm aus den Zigarren oder Pfeifen der Herren jegliche Sicht. Aus gewissen Gründen mußten, wenn sich fremde Damen im Hause aufhielten, zwei tuchbespannte Rahmen vor die Tür gestellt werden. Denn da die Damen zu jener Zeit Krinolinen trugen, war es ihnen nicht möglich, die einzig zweckmäßigen Manipulationen zur Erleichterung ihrer Körpernöte in dem schmalen Gelaß hinter der Tür vorzunehmen. Sie mußten vielmehr die Tür öffnen, die Krinoline schon draußen zwischen den Paravents über den Kopf schlagen und sich, die Fischbeinreifen ihrer weiten Röcke hoch über der kunstvollen Frisur mit den vielen Löckchen zusammenpressend, dem Ziel ihrer Wünsche rückwärts trippelnd nähern.
    So auch Großmutter...
    Kein Mensch hat damals einen entsetzten Aufschrei gehört. Was in Rauch und Dämmerung geschah, ist völlig lautlos vor sich gegangen. Großvater, der die Stellung besetzt hielt, verschlug es vor Erstaunen Atem und Sprache, und Großmutter verstummte fraglos vor Entsetzen, als sie so gänzlich unerwartet auf dem Schoß eines fremden Herrn Platz nahm. In Ohnmacht ist sie sicherlich nicht gefallen, denn das lag nicht in ihrer resoluten Art. Und um es auch aus Großvaters Perspektive zu berichten: im Augenblick dieser wahrhaft merkwürdigen und schicksalsschwangeren Begegnung wußte Großvater natürlich nicht, wer sich ihm näherte, denn er genoß ja nur den gewiß reizvollen Anblick eines rückwärtigen Teilstückes der sich ihm nähernden Dame, während sie genauso wenig wußte, auf wessen warmen Knien sie sich niederließ.
    Wenn diese Geschichte daheim zu vorgerückter Stunde und bei vorgerückter Stimmung im engen Familienkreis immer wieder einmal aufgetischt wurde, dann geschah es hauptsächlich, um zu der Lösung der brennenden Frage zu kommen: Was tut ein feiner Mann in solch einem gewiß ungewöhnlichen Fall? — Was also hat Großvater, der
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