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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte
Autoren: Ray Bradbury
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geworfen, um sein maschinelles Innenleben in Gang zu setzen.
    »Ich beobachte Sie schon einige Tage lang«, intonierte er. »In Anfällen geistiger Umnachtung lese ich Ihre Geschichten. Es mangelt Ihnen nicht an Talent, das ich etwas aufpolieren könnte. Ich arbeite zur Zeit, Gott steh’ mir bei, an einem hoffnungslosen Film über Christus, Herodes Antipas und all die anderen Holzköpfe von Heiligen. Die Dreharbeiten hatten schon neun Millionen Dollar verschlungen, mit einem Suffkopf von Regisseur, der schon bei der Verkehrserziehung im Kindergarten den Überblick verlieren würde. Und ich soll nun die Leiche unter die Erde bringen. Welche Sorte Christ sind Sie?«
    »Ein Abtrünniger.«
    »Sehr gut. Wundern Sie sich nicht, wenn ich Sie aus Ihrer dummen Dinosaurier-Saga herausschmeißen lasse. Wenn es Ihnen gelingt, mir bei der Einbalsamierung dieses Jesus-Horror-Films behilflich zu sein, sind Sie eine Stufe weiter oben. Das Lazarusprinzip! Man arbeitet an einer miesen Nummer von Film und rettet sie – so verdient man sich Punkte. Ich werde Sie noch ein paar Tage länger beobachten und lesen. Seien Sie heute Punkt eins in der Kantine. Essen Sie das, was ich esse. Reden Sie nur, wenn man das Wort an Sie richtet. Klar, Sie talentierter kleiner Saukerl?«
    »Jawohl, verstanden, Herr Unterseebootkapitän, Sie großer Saukerl, Sir.«
    Als ich davonradelte, gab er mir einen Schubs. Es war kein böse gemeinter Schubs, eher der Ansporn eines alten, quietistischen Philosophen, der mich auf die richtige Spur bringen wollte.
    Ich drehte mich nicht um.
    Ich fürchtete mich davor, ihn beim Sichumdrehen zu erblicken.
     

6
     
    »Mein Gott!« entfuhr es mir. »Er hat mich tatsächlich dazu gebracht, nicht mehr daran zu denken!«
    Die vergangene Nacht. Der kalte Regen. Die hohe Mauer. Die Leiche.
    Ich stellte mein Fahrrad vor dem Studio Nummer 13 ab.
    Ein Studiowachmann kam vorbei und sagte: »Haben Sie eine Erlaubnis, um hier zu parken? Dieser Platz ist für Sam Shoenbroder reserviert. Fragen Sie im Büro an.«
    »Eine Erlaubnis ?« schrie ich. »Herrgott nochmal! Für ein Fahrrad ?«
    Ich schob das Rad wutentbrannt durch die doppelte Luftschleusentür in die Dunkelheit hinein.
    »Roy?« rief ich. Stille.
    Ich blickte mich im Halbdunkel auf Roy Holdstroms Spielzeugmüllhalde um. Ich hatte genauso eine Sammlung wie er, nur etwas kleiner, in meiner Garage.
    Über das gesamte Filmatelier verstreut lagen Spielsachen aus Roys drittem Lebensjahr, Bücher, die er mit fünf gelesen hatte, Zauberkästen aus der Zeit, als er acht war, Chemielaboratorien des Neun- und Zehnjährigen, die Comicseiten aus der Sonntagsbeilage hatte er mit elf Jahren gesammelt, und nachgebaute Modelle von Kong, als er dreizehn wurde, das war 1933, als er sich den Großen Affen innerhalb von zwei Wochen fünfzigmal im Kino anschaute.
    Es juckte mir in den Fingern. Ich sah kleine Magnetmotoren, billige Kreisel, Spielzeugeisenbahnen, Zauberkästen, bei deren Anblick die Kinder vorm Schaufenster mit den Zähnen knirschen und davon träumen, einen Spielzeugladen auszurauben. Mein eigenes Gesicht lag dort, ein Abdruck, den Roy mit Vaseline und Gips abgenommen hatte. Von Roys eigenem, großartigen Habichtsprofil flogen ein gutes Dutzend Gipsmasken herum, außerdem Totenschädel und vollständige Skelette, die in irgendeiner Ecke lagen oder auf Gartenmöbeln saßen – einfach alles, was Roy brauchte, um sich in einem Atelier wie zu Hause zu fühlen. Einem Atelier, das so groß war, daß man durch seine Weltraumflughafentüren bequem die Titanic hätte hereinschieben können, und es wäre noch immer genug Platz für die Old Ironsides gewesen.
    Eine ganze Wand hatte Roy mit reklametafelgroßen Anzeigen und Plakaten von Die versunkene Welt, King Kong und Sohn des Kong, sowie von Dracula und Frankenstein gepflastert. In der Mitte dieses bizarren Flohmarkts standen in orangefarbenen Lattenverschlägen Skulpturen von Karloff und Lugosi. Auf seinem Schreibtisch tummelten sich drei Originalsaurier mit beweglichen Gelenken, die er von den Schöpfern von Die verlorene Welt geschenkt bekommen hatte. Inzwischen fiel den Urviechern das Gummifleisch bereits in Fetzen von den metallenen Knochen.
    Damals war Atelier 13 ein Spielzeugladen, eine magische Schublade, der Koffer eines Zauberers, eine Trickfabrik und ein luftiger Hangar der Träume, in dessen Zentrum sich Roy selbst jeden Tag bewegte, um mit seinen Pianistenfingern mythische Kreaturen zu bezirzen, um sie wispernd aus ihrem
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