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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte
Autoren: Ray Bradbury
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wieder Roy Holdstrom, und wirst du Roy bleiben, nichts anderes mehr als mein Freund, von jetzt an, wirst du das tun, Roy?«
    Roy hielt den Kopf gesenkt. Dann streckte er seine Hand aus.
    Ich packte sie so fest, als könnte ich jeden Moment taumeln und in die Straßen von Paris, das Paris des Monsters, hinunterstürzen.
    Wir hielten uns fest.
    Mit der freien Hand pellte Roy den Rest der Maske von seinem Gesicht. Er knautschte die Substanz, das heruntergerissene Wachs und das Puder und die grünliche Narbe in der Faust zusammen und schleuderte sie von Notre Dame hinunter. Wir hörten den Aufprall nicht, aber dafür eine überraschte Stimme, die heraufbrüllte:
    »Verdammt noch mal! Hey!«
    Wir schauten hinunter.
    Es war Crumley, ein einfacher Bauer auf dem Vorplatz von Notre Dame. »Mir ist das Benzin ausgegangen«, rief er. »Ich bin immer weiter um den Block gefahren und plötzlich: kein Benzin mehr.«
    Er legte die Hand an die Stirn: »Was in drei Teufels Namen geht dort oben vor sich?«
     

73
     
    Zwei Tage später wurde Arbuthnot beerdigt.
    Oder besser gesagt: erneut beerdigt. Oder noch besser: in sein Grab gelegt, vor Morgengrauen, von einigen guten Kirchgängern, die weder wußten, wen sie da transportierten, noch warum oder zu welchem Zweck er ausgerechnet dorthin getragen wurde.
    Pfarrer Kelly hielt den Gottesdienst für ein totgeborenes, namenloses und deshalb ungetauftes Kind ab.
    Ich war zugegen, zusammen mit Crumley und Constance und Henry und Fritz und Maggie. Roy stand sehr weit von unserer Gruppe entfernt.
    »Was tun wir bloß hier?« murmelte ich.
    »Wir wollen nur sichergehen, daß er diesmal endgültig begraben wird«, bemerkte Crumley.
    »Wir wollen dem armen Schlitzohr vergeben«, sagte Constance leise.
    »Wenn die Leute draußen wüßten, was hier heute vorgeht«, sagte ich. »Stellt euch die Menschenmassen vor, die gekommen wären, um bei seiner endgültigen Einsegnung dabeizusein. Abschied nehmen von Napoleon.«
    »Er war kein Napoleon«, widersprach Constance.
    »Wirklich nicht?«
    Ich blickte über die Friedhofsmauer, wo die Städte der Welt darniederlagen; wo sollte Kong nun Doppeldecker aus der Luft greifen? Es gab keine staubdurchwehte, weiße Grabstätte für den grabflüchtigen Heiland und kein Kreuz, woran man einen Glauben oder eine Zukunft hängen konnte, und kein …
    Nein, dachte ich, vielleicht nicht Napoleon, aber Barnum, Gandhi und Jesus. Herodes, Edison und Griffith. Mussolini, Dschingis Chan und Tom Mix. Bertrand Russell. Der Mann, der die Welt verändern wollte und Der Unsichtbare. Frankenstein, Tiny Tim und Drac –
    Ich mußte etwas davon laut ausgesprochen haben.
    »Ruhe«, sagte Crumley, sotto voce.
    Und dann fiel die Tür zu Arbuthnots Gruft, in der sich Blumen und die Leiche des Monsters befanden, krachend ins Schloß.
     

74
     
    Ich suchte Manny Leiber auf.
    Er saß immer noch wie ein Dämon im Taschenformat auf der Kante seines Schreibtischs. Mein Blick wanderte von ihm zu dem geräumigen Sessel hinter ihm.
    »Na schön«, sagte er, » Cäsar und Christus ist abgedreht. Maggie arbeitet am Schnitt für das verfluchte Ding.«
    Er machte ganz den Eindruck, als wolle er mir die Hand schütteln, wisse aber nicht so recht, wie er das anstellen sollte. Also ging ich um ihn herum, suchte mir wie in alten Zeiten die Sofakissen zusammen, türmte sie aufeinander und setzte mich oben drauf.
    Manny Leiber mußte lachen. »Geben Sie denn niemals auf?«
    »Wenn ich das täte, würden Sie mich bei lebendigem Leib auffressen.«
    Ich schaute auf die Wand hinter seinem Rücken. »Ist der Durchgang versperrt?«
    Manny rutschte von der Schreibtischkante, ging zum Spiegel hinüber und hob ihn von den Haken. Dahinter, wo sich einst die Tür befunden hatte, war jetzt frischer Putz und ein neuer Anstrich zu sehen.
    »Kaum zu glauben, daß da jahrelang jeden Tag ein Monster durchgekommen ist«, sagte ich.
    »Das war kein Monster«, sagte Manny. »Er hat dieses Studio geführt. Ohne ihn wäre es schon längst den Bach runtergegangen. Erst am Schluß ist er durchgedreht. Den Rest der Zeit war er Gott hinter dem Spiegel.«
    »Konnte er sich nie daran gewöhnen, daß ihn die Leute anstarren?«
    »Meinen Sie, Ihnen wäre es anders ergangen als ihm? Was ist so ungewöhnlich daran, daß er sich versteckt hielt, in der Nacht durch den Tunnel heraufkam und sich in den Stuhl dort setzte? Das ist nicht idiotischer oder ausgefallener als die Vorstellung, daß Filme von der Leinwand herunterkommen und
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