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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte
Autoren: Ray Bradbury
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Überbevölkerung (falls der Regisseur und Schöpfer es so haben wollte, und solange der Künstlerdienst den Strom der Statisten nicht abreißen ließ).
    So war es auch am Abend vor Allerheiligen im Jahre 1954.
    Halloween.
    Meine liebste Nacht im ganzen Jahr.
    Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich mich nicht darangemacht, diese neue Geschichte zweier Städte niederzuschreiben.
    Wie hätte ich auch widerstehen können, wo die Einladung mit dem Hartmeißel geschrieben war.
    Was hätte ich anderes tun können als niederknien, tief Luft holen und den Marmorstaub wegblasen?
     

2
     
    Morgens der erste …
    Ich war an diesem Halloweentag schon um sieben im Studio.
    … und abends der letzte.
    Es war kurz vor zehn, als ich eine letzte Runde machte; genüßlich kostete ich die Gewißheit aus, daß ich endlich an einem Ort arbeitete, wo alles eindeutig definiert war. Die Einsätze kamen auf den Punkt genau, und die Schlüsse waren immer sauber und unumstößlich. Draußen, in der Welt außerhalb der Aufnahmestudios, traute ich dem Leben mit seinen widerlichen Überraschungen und seinen zusammengeschusterten Handlungssträngen nicht über den Weg. Wenn ich hier bei Sonnenaufgang oder in der Abenddämmerung durch die Gassen ging, stellte ich mir vor, daß ich allein das Studio zum Leben erwecken oder stillegen konnte. Es gehörte mir, weil ich es so wollte.
    Ich durchmaß ein Territorium, das eine halbe Meile breit und eine ganze Meile lang war, mit vierzehn Tonateliers und zehn Außendekorationen, Opfer meiner eigenen Besessenheit und Filmbegeisterung, einer Romanze, die das Leben in geregelten Bahnen hielt, während es einem auf der anderen Seite der schmiedeeisernen Tore aus den Händen zu gleiten drohte.
    Es war schon spät, doch da man zu einer ganzen Reihe von Filmen die Dreharbeiten pünktlich am Abend vor Halloween beendet hatte, waren auf verschiedenen Sets Schlußfeten und Abschiedsgelage im Gange. Aus dem Innern dreier Aufnahmestudios, deren gigantische Schiebetore gähnend offenstanden, drangen Big-Band Musik, Gelächter, das Knallen von Sektkorken und lauter Gesang. Ganze Horden in Filmklamotten prosteten anderen Grüppchen zu, die in Halloweenkostümen von draußen hereinkamen.
    Ich gesellte mich nirgends hinzu, begnügte mich mit einem Grinsen oder einem kleinen Lachen. Schließlich gehörte – in meiner Einbildung – das ganze Studio mir; ich konnte mich nach Belieben dort aufhalten, wo ich wollte und solange ich wollte.
    Und dennoch verspürte ich, als ich wieder in den Schatten eintauchte, tief im Innern dieses gewisse Kribbeln. Meine Liebe zum Film dauerte schon viel zu lange. Es war so, als hätte ich eine Liebesaffäre mit Kong, der auf mich herabstürzte, als ich dreizehn war; seither war es mir nicht gelungen, mich von der Last seines quicklebendigen Kadavers zu befreien.
    Das Studio stürzte auf die gleiche Weise auf mich ein, wenn ich morgens dort eintraf. Ich brauchte Stunden, um mich von seinem Zauber zu befreien, normal zu atmen und mich an die Arbeit zu machen. In der Abenddämmerung ergriff die Verzauberung erneut von mir Besitz; es fiel mir schwer, richtig durchzuatmen. Ich wußte, daß ich in nicht allzu ferner Zukunft hier raus mußte, mich freistrampeln, weggehen und nicht mehr zurückkommen, oder es würde mir ergehen wie Kong; ich würde fallen und fallen und eines schönen Tages würden sie mich kriegen.
    Ich kam am hintersten Atelier vorbei, dessen Wände ein letzter Ausbruch von Fröhlichkeit und rhythmischer Jazzmusik erschütterte. Einer der Kameraassistenten radelte vorbei, den Korb vollgestopft mit Filmrollen, die zur Autopsie unter dem Rasiermesser eines Cutters bestimmt waren, der die einzelnen Schnipsel erretten oder bis in alle Ewigkeit begraben würde. Nach dem Endschnitt ging’s entweder in die Kinos oder gleich ab in die Regale, auf denen die toten Filme enden, und wo sie allein der Staub, nicht die Verwesung erwartet.
    Die Uhr einer Kirche droben in den Hollywood Hills schlug zehn. Ich drehte mich um und schlenderte zu meiner Einzelzelle in der Autorenbaracke zurück.
    Die Einladung, den Narren zu spielen, harrte meiner im Büro.
    Nicht gerade in Marmortafeln gemeißelt, nein, das nicht, sondern fein säuberlich auf edles Papier getippt.
    Während ich die Nachricht las, sank ich in den Bürostuhl; mein Gesicht war kalt und meine Hand unternahm einen kläglichen Versuch, die Botschaft zu zerknüllen und in die Ecke zu werfen.
    Sie lautete folgendermaßen:
     
    GREEN
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