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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte
Autoren: Ray Bradbury
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GLADES PARK. HALLOWEEN.
    HEUTE UM MITTERNACHT.
    IN DER MITTE DER RÜCKWÄRTIGEN MAUER.
    PS Eine große Offenbarung erwartet Sie. Stoff für ei nen Bestseller-Roman oder ein hervorragendes Drehbuch. Eine einmalige Gelegenheit!
     
    Zu den Mutigsten gehöre ich nicht. Ich habe keinen Führerschein gemacht und noch nie den Fuß in ein Flugzeug gesetzt. Bis ins zarte Alter von fünfundzwanzig hatte ich Angst vor Frauen. Ich hasse große Höhen; das Empire State Building ist der reinste Alptraum für mich. Fahrstühle machen mich nervös; die Zähne der Rolltreppen fürchte ich. Ich bin sehr wählerisch, was Essen angeht. Mein erstes Steak habe ich mit vierundzwanzig verspeist, bis dahin hatte ich mich mit Hamburgern, Eiern, Tomatensuppe und Schinkenbrot mit Gurke über die Runden gerettet.
    »Green Glades Park!« sagte ich laut vor mich hin.
    Großer Gott, dachte ich. Um Mitternacht? Ausgerechnet ich! Der Knirps, der die halbe Schulzeit über von Raufbolden terrorisiert wurde? Der Junge, der sich in der Achselhöhle seines Bruders verkroch, als er zum ersten Mal Das Phantom der Oper anschaute?
    Jawohl, genau der.
    »Bescheuert!« schrie ich. Und ich machte mich auf den Weg zum Friedhof. Um Mitternacht.
     

3
     
    Beim Verlassen des Studiogeländes steuerte ich auf die Herrentoilette zu, die nicht weit vom Haupttor entfernt ist, drehte jedoch noch rechtzeitig wieder ab. Ich hatte mir angewöhnt, diesen Ort nach Möglichkeit zu meiden, mich von dieser unterirdischen Grotte fernzuhalten, in der verborgene Wasser gluckerten und man ein Scharren wie von dahinhuschenden Flußkrebsen vernahm, sobald man die Klinke berührte und aufmachen wollte. Es war mir zur Gewohnheit geworden, vor dem Eintreten kurz innezuhalten, mich zu räuspern und die Tür erst dann langsam zu öffnen. Dann fielen drinnen stets mehrere Türen ins Schloß, bald leise, bald mit einem dumpfen Schlag, bald mit einem lauten Knall, und die Kreaturen, die diese Grotte tagsüber und, wegen der Atelierparties, diesmal auch in der Nacht bewohnten, zogen sich in heller Panik zurück – worauf einen die Stille kühlen Porzellans und unterirdischer Wasseradern empfing. So rasch wie möglich wandte man sich den Armaturen zu und rannte mit ungewaschenen Händen wieder hinaus, um augenblicklich das leise Wiedererwachen der Flußkrebse zu vernehmen, das angelweite Flüstern der Türen, die Höhlenkreaturen, die in den unterschiedlichsten Stadien der Verwirrung und des Fiebers wieder zusammenkamen.
    Ich drehte, wie gesagt, bei, und drückte mich gegenüber in die Frauentoilette, nachdem ich zur Sicherheit laut hineingerufen hatte. Diese war ein Ort sauberer, kalter, weißer Keramik, keine dunkle Grotte mit davonhuschenden Kreaturen. Im Handumdrehen war ich wieder draußen, gerade noch rechtzeitig, um ein Regiment preußischer Wachsoldaten in Richtung der Party im Atelier 10 vorbeimarschieren zu sehen. Ihr Hauptmann trat aus der Reihe; ein gutaussehender Mann mit nordischem Haar und großen, unschuldigen Augen. Völlig ahnungslos betrat er die Herrentoilette.
    Niemand wird ihn je wiedersehen, dachte ich und eilte durch die beinahe mitternächtlichen Straßen.
    Mein Taxi, das ich mir zwar nicht leisten konnte, ohne das ich aber nie im Leben auch nur in die Nähe des Friedhofs gefahren wäre, brachte mich genau drei Minuten vor dem Glockenschlag ans Friedhofstor.
    Ich sah volle zwei Minuten lang zu all diesen Krypten und Monumenten hinein, Green Glades Park mit seinen über neuntausend toten Leutchen, alle Vollzeit angestellt.
    Schon seit fünfzig Jahren liegen sie da drinnen ihre Stunden ab, seit der Zeit, als die Immobilienzaren Sam Green und Ralph Glade in den Bankrott getrieben wurden, den Laden dichtgemacht und die Grabsteine errichtet haben.
    Dank ihrem Gespür für die glückliche Fügung ihrer beider Namen verewigten sich die gescheiterten Erbauer von Bungalow-Siedlungen im Green Glades Park, einem Ort, an dem all die Leinwandträume begraben liegen.
    Leute aus der Filmbranche, die in den trüben Immobiliengeschäften mit drinsteckten, sollen angeblich ein abgekartetes Spiel gespielt haben, damit die beiden Gentlemen endlich Ruhe gaben. Bei ihrer Beisetzung wurden eine Menge Tratsch, Gerüchte, Schuldzuweisungen und krumme Touren gleich mit unter die Erde befördert.
    Hier saß ich nun, krallte die Finger um meine Knie, knirschte mit den Zähnen und starrte auf die Mauer mir gegenüber, hinter der, wie ich wußte, sechs gemütliche, ungefährliche, wundervolle
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