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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte
Autoren: Ray Bradbury
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zurück.
    Warum schaust du mich so an? fragte er schweigend.
    Weil ich dich kenne, dachte ich.
    Sein Gesicht war wie weißer Stein.
    James Charles Arbuthnot, ehemaliger Studiochef von Maximus Films, dachte ich.
    Richtig, flüsterte er.
    Aber, aber, schrie ich stumm vor mich hin, ich habe Sie zum letzten Mal gesehen, als ich dreizehn Jahre alt war und auf meinen Rollschuhen vor den Studios von Maximus Films stand, in der Woche, in der Sie ums Leben kamen, vor zwanzig Jahren. Tagelang wurden die Fotos zweier Autos veröffentlicht, die gegen einen Telefonmast geprallt waren, die furchtbar zugerichteten Wracks, das blutige Pflaster, die verrenkten Leichen, und dann noch zwei Tage lang Hunderte von Fotos der tausend Trauergäste bei Ihrer Beerdigung und die Millionen von Blumen. Sogar die Studiobosse aus New York vergossen echte Tränen, allenthalben nasse Augen, hinter Hunderten von Sonnenbrillen, als die Schauspieler herauskamen, ohne ihr strahlendes Lächeln. Man trauerte wirklich heftig um Sie. Dann abermals ein paar Aufnahmen der verunglückten Wagen auf dem Santa Monica Boulevard, es dauerte Wochen, bis die Zeitungen vergessen hatten, bis die Radiostationen aufhörten, Sie zu lobpreisen, und dem König allmählich vergaben, daß er wirklich von ihnen gegangen war.
    Das kann nicht sein! Unmöglich, gellte ich fast los. Heute, in dieser Nacht, sind Sie wieder hier, oben auf der Friedhofsmauer? Wer hat Sie dort hingebracht? Sie können doch nicht ein zweites Mal ums Leben kommen, oder etwa doch?
    Es blitzte. Ein Donner folgte, wie von einer riesigen zuschlagenden Tür. Der Regen fiel auf das Gesicht des Toten herab und füllte seine Augen mit Tränen. In seinem weit aufgerissenen Mund sammelte sich Wasser.
    Ich wirbelte herum, schrie auf und rannte davon.
    Als ich beim Taxi ankam, wußte ich, daß ich mein Herz dort hinten bei der Leiche zurückgelassen hatte.
    Es kam hinter mir hergehetzt, traf mich wie ein Gewehrschuß ins Zwerchfell und schleuderte mich gegen das Taxi.
    Der Fahrer starrte auf den Kiesweg hinter mir, auf den der Regen trommelte.
    »Ist dort jemand?« kreischte ich.
    »Nein!«
    »Gott sei Dank. Bloß weg von hier!«
    Da gab der Motor seinen Geist auf.
    Wir stöhnten beide vor Verzweiflung.
    Der Motor erbarmte sich unser und sprang wieder an.
    Mit neunzig Sachen rückwärts zu fahren ist nicht ganz einfach.
    Wir schafften es.
     

4
     
    Die halbe Nacht blieb ich wach und betrachtete mein gewöhnliches Wohnzimmer mit der stinknormalen Einrichtung in einem kleinen, sicheren Bungalow in einer normalen Straße in einem ruhigen Viertel der Stadt. Obwohl ich drei Tassen heißen Kakao trank, wollte mir nicht richtig warm werden. Zitternd projizierte ich unablässig Hirngespinste an die Wände.
    Niemand stirbt zweimal, dachte ich. Das konnte unmöglich James Charles Arbuthnot gewesen sein, der da auf der Leiter gestanden und sich in den Nachtwind gekrallt hatte. Tote Körper verwesen. Leichen lösen sich in nichts auf.
    Ich erinnerte mich an einen Tag im Jahre 1934, als J. C. Arbuthnot gerade vor dem Studio aus seiner Limousine gestiegen war und ich ihm mit meinen Rollschuhen in die Arme stolperte. Er hatte gelacht, mich wieder auf die Beine gestellt, mir ein Autogramm gegeben, hatte mich in die Wange gezwickt und war hineingegangen.
    Und jetzt, gütiger Gott, war dieser Mann, der schon lange das Zeitliche gesegnet hatte, mir vor einem kalten Regenhimmel erschienen und auf den Friedhofsrasen gestürzt.
    Ich hörte Stimmen und sah Schlagzeilen vor mir:
     
    J. C. ARBUTHNOT – TOT UND WIEDER
    AUFERSTANDEN
     
    »Nein!« schleuderte ich der weißen Wand entgegen, über die der Regen rieselte, und vor der der Mann herabfiel. »Er war es nicht. Das ist eine Lüge !«
    Warte ab, bis es hell wird, sagte eine Stimme.
     

5
     
    Auch die Morgendämmerung brachte keine Erleichterung.
    Die Radio- und Fernsehnachrichten hatten keine Leichname zu vermelden.
    Die Zeitungen waren voll mit Verkehrsunfällen und Rauschgiftrazzien. Nirgends ein J. C. Arbuthnot.
    Ich schlenderte aus dem Haus, nach hinten in meine Garage, die mit Spielzeug, alten Wissenschaftsmagazinen und Erfinderzeitungen vollgestopft war. Kein Auto, nur mein gebraucht gekauftes Fahrrad.
    Ich war schon den halben Weg zum Studio geradelt, als mir auffiel, daß ich mich an keine der Kreuzungen erinnern konnte, über die ich blindlings hinweggerauscht sein mußte. Starr vor Entsetzen fiel ich vom Rad; ich zitterte.
    Ein feuerroter offener Roadster blieb mit
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