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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht
Autoren: Nancy Kress
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ein. Manchmal bildete sie
die Vorhut, manchmal die Nachhut und manchmal die Flanke, so
daß Ayrid zwischen ihr und dem Fluß marschierte. Einmal
tauchte sie an Ayrids Seite auf und zielte mit der Armbrust. Ein
dumpfes Geräusch, ein Schmerzgeheul, und etwas rannte
kläffend durchs hohe Gras.
    Jehanna lächelte. »Krihund.«
    Die Delysierin starrte sie nur mit großen,
übermüdeten Augen an.
    Es erging ihr, wie Jehanna befürchtet hatte. Sie trampelte
durch unreifen Hanf und löste seinen schädlichen Duft aus,
trottete mit gesenktem Kopf über glatten Steinboden, stolperte
über ihre eigenen Füße. Einen Krihund, der ihr
auflauerte, bemerkte sie erst, wenn Jehanna ihn erlegt hatte.
    Mehr als einmal hatte sie, Jehanna, diesem Tölpel das Leben
gerettet; ein einziges Mal hätte genügt, um sie vom Schwert
der Ehre zu erlösen, hätte sie nicht gelobt, dieses
verweichlichte Stück Aas bis zur Grauen Mauer unter ihre
Fittiche zu nehmen. Pfui Teufel!
     
    Als das Leuchtfeuer ungefähr die Mitte zwischen
Horizont und Zenit erreicht hatte, tauchte Jehanna neben Ayrid auf.
»Wir machen jetzt Rast.«
    »Jetzt?« sagte Ayrid benommen und wankte vor
Erschöpfung.
    »Jetzt. Wenn du wieder Schlaf brauchst, dann leg dich hin,
solange deine Muskeln noch warm sind – falls du welche hast.
Wenn du damit wartest, wirst du steif werden vor Kälte. Und
iß was.«
    Die Delysierin rührte sich nicht von der Stelle. Jehanna sah,
daß ihre Worte nichts bewirkten; die Schnecke war durch die
bloße Wanderung so zermürbt, daß sie nichts mehr
begriff. Fluchend machte sie Feuer – was sie hatte vermeiden
wollen – schubste Ayrid, bis sie daneben saß, und
riß den Reisesack auf. »Den Haferkuchen – iß
ihn auf jetzt!«
    Ayrid aß. Noch ehe sie ganz fertig war, war sie eingenickt.
Jehanna wickelte sie in den delysischen Burnus – sie, Jehanna,
hätte notfalls auch ohne Burnus überleben können. Das,
so lehrten es die Meister, machte den Krieger aus: zu wissen, was man nicht zum Überleben brauchte. Es war natürlich reine
Zeitverschwendung, davon dem Tolpatsch zu erzählen.
    Jehanna beendete ihre Mahlzeit, setzte sich an einen Baum, den
Stamm im Rücken, und hielt Wache. Das war Quoms finsterste
Stunde, die Mitte von Finstertag, nicht aber die kälteste. Die
Lehrmeister hatten sich Mühe gegeben, Jehanna beizubringen, wie
sich alles auf Quom in einem ewigen Kreislauf bewegte. Jehanna war
keine fixe Schülerin gewesen und hatte sich nur mühsam und,
weil sie sonst Schläge bekommen hätte, mit der seltsamen
Vorstellung angefreundet, daß Quom sich um sich selbst drehte,
während die Sonne stillstand. Dann hatten ihr die Lehrmeister
die noch seltsamere Vorstellung abverlangt, daß diese Drehung
einen Zyklus hervorrief: sechzehn Stunden für den
Frühmorgen, vier für Lichtschlaf und sechzehn für
Spätlicht, und dann zehn Stunden für Frühnacht,
sechzehn für Finstertag und zehn für Drittnacht.
    Doch dieses Wissen – nutzlos im Grunde genommen, denn die
Zyklen kamen und gingen, ob man sie nun verstand oder nicht, also war
es belanglos, warum sie das taten – dieses Wissen hatte
jedenfalls nicht ausgereicht, dem Kind Jehanna die einzige Frage zu
beantworten, die es jemals aus sich heraus gestellt hatte. Wenn die
Kälte daher rührte, daß Quom sich von der Sonne
abwandte, und wenn Finstertag am weitesten von der Sonne fort war,
hatte sie damals gefragt, warum war dann Drittnacht am kältesten
und nicht Finstertag? Die Lehrmeister waren ihr die Antwort schuldig
geblieben. Das wäre nun einmal so, hatten sie gesagt. Und genau
so hatte sie sich bereits darüber hinweggetröstet,
daß Quom sich um sich selbst drehen sollte. Woraufhin sie sich
lieber hatte prügeln lassen, als sich noch länger mit den
nutzlosen Erklärungen der Meister herumzuschlagen.
    Hinten an ihren Beinen waren jetzt noch die Striemen zu sehen; sie
hatte die Strafe ohne Groll, aber mit einer gewissen Verachtung
über sich ergehen lassen. Den Kampfmeistern dagegen hatte sie
bedenkenlos gehorcht; der richtige Umgang mit Waffen konnte einem das
Leben retten. Doch nach der Entlassung aus dem Kader sein ganzes
Leben mit diesem blutleeren Zeug zu verplempern? Nein, da würde
sie sich schon eher mit einem Krieger paaren und Krieger gebären
oder Waffen bauen, als sich mit diesem Gefasel über um sich
selbst drehen und Rotation zu befassen. Sie mußte
etwas Handfestes machen, etwas zum Anfassen.
    Jelitische Kundschafter hatten berichtet, daß man die Graue Mauer nicht
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