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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht
Autoren: Nancy Kress
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Säure zu zerschmeißen, die sie als elender Bürger
brauchte, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Sie war einfach
dumm. Und sie roch.
    Dann warf die Frau die Decke zurück, und Jehanna sah die
Hand.
    »Was ist mit deiner Hand passiert?«
    »Hab mich geschnitten«, sagte die Frau
gleichgültig.
    »Geschnitten? Quer über alle fünf Finger? Das sieht
ja aus wie rohes Fleisch!«
    Die Schnecke sagte nichts. Jehanna sagte: »Das hast du selbst
gemacht. Du hast deine rechte Hand ruiniert. Da unter dem
Daumen…«
    »Was geht dich das an?«
    »Meinetwegen schneid dir den Arm ab«, sagte Jehanna
verächtlich. Verrückt – die Frau war nicht bloß
dumm, sie war auch noch übergeschnappt. Sie, Jehanna,
führte mit dieser dummen, hilflosen Verrückten das Schwert
der Ehre; ein Tier hatte mehr Respekt vor dem eigenen Körper als
dieses Stück Krihundscheiße, und Jehanna hatte sich
verpflichtet, es zu beschützen, und zwar auf dem ganzen Weg bis
zur Grauen Mauer; ihre Erste Bewährungsprobe war eine
bittere Erfahrung.
    »Iß und dann mach dich fertig für den
Marsch.«
    Die Delysierin packte Proviant aus ihrem Sack. Offensichtlich
hatte sie nicht vor, sich vor dem Frühstück zu waschen.
Eine kalte Brise, die besonders kalte Brise eines wolkenlosen
Finstertags, fuhr in ihr Haar. Sie erschauerte. So etwas wie Staub
war in ihrem verfilzten Haar, irgendein Pulver, das bestimmt mit
ihrer Glasmacherei zu tun hatte. Sie fing an zu essen.
    »Ich kann das nicht essen. Willst du was davon?«
    Jehanna besah sich verblüfft diesen unhandlichen Proviant.
Haferkuchen, frische Dahafrüchte, gepökelten Fisch –
eine lächerliche Marschverpflegung für die Savanne; aber
diese Delysierin war wohl einfach zu dumm, um an so was zu denken.
Jehanna hatte nur Dörrobst und Dörrfleisch dabei. Der
Haferkuchen war rot marmoriert; Delysier taten manchmal Zucker in den
Kuchen. Süßer Speichel sammelte sich in Jehannas Mund.
    »Du kannst das wirklich haben. Ich kann nicht
essen.«
    »Das ist dumm von dir. Der Marsch wird dir zu schaffen
machen, mehr als du denkst.«
    »Ich halte durch.«
    »Wir marschieren den ganzen Finstertag. Du wirst nicht
schlafen können wie ein Stein.«
    »Ich sage doch, ich halte durch. Und die Graue Mauer läuft nicht fort. Sie steht schon fast ein Jahr da, und sie
wird auch noch dastehn, wenn wir einen Tag länger
brauchen.«
    Jehanna kräuselte die Lippen. Typisch Schnecke. Frierend, verwundet und so verschlossen und angestrengt wie sie
dreinsah – sie würde den Finstertag nicht durchstehen.
    »Nimm dir von dem Haferkuchen, Jehanna.«
    »Ich will nichts von deinem Proviant, Delysier. Und solltest
du unterwegs schlappmachen, dann laß ich dich im Stich. Nicht
mal das Schwert der Ehre verlangt, daß ich dich vor dir selbst
beschütze.«
    »Ich mache nicht schlapp«, sagte die Frau und
lächelte spöttisch. Jehanna war verwirrt. Was an der
Warnung ließ die Schnecke so komisch grinsen? Niemand konnte
die Gedanken eines Delysiers erraten; sie waren zu abwegig. Auf jeden
Fall würde sie, Jehanna, auf Abstand bleiben, damit sie nicht
fortwährend diesen Geruch in der Nase hatte. Pfui!
     
    Und so hielt sie es. Die beiden Frauen folgten dem Flußlauf
und wichen nur in die Savanne aus, wenn die Uferregion zu steil oder
zu dicht bewachsen war oder Jehanna sich angesichts einer weiten
Flußschleife für eine Abkürzung entschied. In der
kalten Nacht war die Savanne still und lebendig zugleich;
Dornbüsche und Kemburis und die saftigen, stachligen Dahas waren
dunkle, regungslose Gestalten, gesäumt vom Sternenlicht. Die
Tiere blieben unsichtbar, nur dann und wann ein flinkes Rascheln im
Gras, ein ferner Schrei. Einmal stießen sie auf eine Kattel,
jene seltsame, symmetrische Masse aus hartem Grün, die wie ein
gerader, kristalliner Steinzapfen aussah, aber nichtsdestoweniger
Wasser und Licht brauchte, um zu wachsen, und von der selbst die
Kriegerpriester nicht wußten, ob es sich um eine Pflanze oder
nur um eine mineralische Struktur handelte. Jehanna schlug einen
weiten Bogen um die Kattel.
    Vor ihnen schnitten die Berge finstre Zacken aus dem
Sternenhimmel, verdeckten einen Teil des Krummsäbels und
den Kamm der Bugwelle. Kufa glühte stumpfrot, nahezu
einsam in seinem Bereich des Himmels. Das schwarze Wasser rauschte
und murmelte zwischen den Uferbänken, dann wieder verstummte es
zu einem Teich, der wie dunkles Glas dalag und das silbrige
Doppellicht des Leuchtfeuers spiegelte.
    Jehanna hielt keine bestimmte Position
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