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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind
Autoren: A Hollinghurst
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keine große Stütze beim Bridge, Harry. Schwarzer Peter ist eher mein Niveau.«
    Rob blätterte ein Stück vor und erkannte allmählich, dass es noch eine zweite Spur gab, eine Art Kehrseite der glühenden Dankbarkeit.
    4. Juni 1913 – »Mein lieber alter Harry, es tut mir sehr leid, aber wie Du mittlerweile weißt, bin ich nicht der Typ, der seine Gefühle offen zeigt, es ist nicht meine Art, Harry.« 14. September 1913 – »Du darfst mich nicht für undankbar halten, Harry, so einen Freund wie Dich hat keiner, aber ich verabscheue Zurschaustellung körperlicher Zuneigung zwischen Männern. Meinem Wesen liegt es fern, Harry.« Tatsächlich kamen die beiden Stränge – Danke und Nein, danke – häufig zusammen. Vielleicht war dieses Buch der Eitelkeit auch ein Dokument der Kränkung – oder des Erfolgs: Rob wusste nicht, wie es ausging. Er versuchte, sich die »Zurschaustellung körperlicher Zuneigung« vorzustellen – wie sah die aus? Mehr als Umarmungen, vielleicht Küsse, anfangs eher aus Versehen, angespannt, dann nachdrücklicher und komplexer. Unterdessen uferten die Geschenke aus. Mai 1913 – »Heute Morgen wurde das Gewehr geliefert – es ist ein echter Reißer, Harry, alter Knabe.« – Oktober 1913 – »Ich weiß nicht, wie ich Dir für den wirklich prachtvollen Kleiderschrank danken soll, Harry. Meine armen alten Anzüge sehen in ihrer neuen Behausung recht schäbig aus!« Dann ein wunderlicher Gedanke: »Die leiblichen Genüsse machen doch viel aus, ganz egal, was die Theologen dazu sagen!« – Schließlich Januar 1914 – »Mein lieber, alter Harry, das kleine Auto ist die reinste Freude – heute bin ich mit Daphne zu einer kleinen Spritztour aufgebrochen – wir haben es mehrmals bis auf 48 Meilen die Stunde gebracht! Sie sagt, ein Straker sei das beste Auto der Welt, und ich glaube, ich muss ihr recht geben. Nur ein großer Wolseley hat uns überholt.« Ließ sich da eine gewisse Abhärtung vernehmen, eine kaum verhüllte Andeutung von Habsucht? Hatte sich der arme Hubert von der überwältigenden Großzügigkeit korrumpieren lassen? Vielleicht würde Harry ihm als Nächstes einen Wolseley kaufen. Einem verliebten schwulen Mann mochte das wiederholte, noch so nett gemeinte alt in der Anrede, das durch alle Briefe geisterte – »Mein lieber guter alter Harry«, »Harry, alter Knabe« –, nach einiger Zeit etwas schal in den Ohren ge klungen haben: »Ich fasse es nicht, dass Du morgen 37 Jahre alt wirst, Harry, alter Knabe!«, hieß es im November 1912. Insgesamt war das Büchlein eine kleine Kuriosität und seinen Preis bestimmt wert, das hatte Raymond richtig erkannt. Einer von Garsaints Kunden würde sicherlich darauf anspringen, die Sammler schwuler Lebenszeugnisse, auf die Rob sich spezialisiert hatte. Die Entstehungszeit spielte natürlich auch eine Rolle.
    Er blätterte weiter vor; aus dem dichten exklamatorischen Stil sprach eine unbestimmte Verweigerungshaltung, die bis hinein in die Wortwahl ging. Nach 1914 fanden sich kaum noch Einträge, nur einige kurze Briefe aus Frankreich, British Expeditionary Forces, Rouen – diese allerdings in einem viel aufrichtigeren Ton, vielleicht weil sie jetzt getrennt waren und sich die ganze Perspektive verändert hatte. Dann ein Brief vom 5. April 1917: »Mein lieber, guter, alter Harry – Noch rasch ein Brief, bevor wir in Kürze ausrücken; weiß nicht, wohin. Im Allgemeinen werden wir darüber nicht aufgeklärt. Ein herrlicher Tag, an dem einem das Leben noch lebenswerter erscheint. Wir haben unseren Ostergottesdienst schon heute gefeiert, weil wir bis dahin sicher weitergezogen sein werden. Ich blieb, um anschließend die hl. Kommunion zu empfangen. Du wirst doch auf Hazel aufpassen, ja, Harry, alter Knabe? Sie ist ein liebes Mädchen. Und auch auf Mutter und Daphne. Gute Nacht, Harry, und alles Liebe von Hubert.« Darunter hatte Harry geschrieben: »Der letzte Brief von meinem lieben Jungen: FINIS .« Und darunter, in einem wieder mit Lineal gezogenen Rahmen:
    HUBERT OWEN SAWLE
    Oberleutnant »The Blues«
    Geb.: Stanmore, Mddx, 15. Januar 1891
    Gef.: Ivry, 8. April 1917
    26 Jahre
    Rob kam aus seinem Kabuff hervor, Raymond stand an der Theke und harkte wieder seinen Bart. »Ah, Rob. Na, interessiert?«
    »Sag mal, dieser Hubert Sawle – ein Verwandter von G. F. Sawle und Madeleine Sawle?«
    »Gut, Rob. Ja. Hubert war G. F. s Bruder.«
    »Noch nie von ihm gehört.«
    »Bis jetzt …« Raymond deutete mit einem Kopfnicken auf das
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