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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind
Autoren: A Hollinghurst
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entschuldigend: »Und wenn schon. Ich finde nichts dabei, dass Sie das wissen.«
    »Zumal Offenheit unsere Parole ist!«, warf George ein und strafte seine Mutter, die sich zur Verschwiegenheit verpflichtet hatte, mit einem erzürnten Blick. Cecil allerdings musste erkannt haben, dass es klüger war, ungehemmt die Gelegenheit zu ergreifen, als feige auszuweichen.
    »Oh, ja, schonungslose Offenheit«, sagte er.
    »Verstehe …«, sagte Hubert, der eindeutig nichts verstanden hatte. »Und worauf bezieht sich diese schonungslose Offenheit?«
    Jetzt erst sah Cecil seinen Freund George an. »Das«, hob er an, »dürfen wir Ihnen leider nicht verraten.«
    »Streng geheim«, sagte George.
    »Ganz recht«, sagte Cecil. »Das ist nämlich unsere zweite Parole. Eigentlich hätte man euch nicht einweihen dürfen. Es ist ein schwerer Verstoß.« Der gespielte Unmut konnte den echten nicht verbergen.
    »Mitglieder? Wovon?«, mischte sich Daphne in ihr Spiel ein.
    »Genau!«, gab sich George geradezu übertrieben erleichtert. »Es gibt sie gar nicht, diese Gesellschaft. Du hast doch wohl hoffentlich niemand sonst davon erzählt, Mutter?«
    Mrs Sawle lachte verdruckst. »Ich glaube, nur Mrs Kalbeck.«
    »Ach, Mrs Kalbeck zählt nicht«, sagte George.
    »Also bitte, George …!«, brauste seine Mutter auf und hätte mit dem Ärmel beinahe ihr Weinglas umgestoßen. Zum Glück waren nur noch ein paar Tropfen im Glas. George grinste Clara Kalbeck an. Es war just ein Beispiel jener pro vozierenden Freimütigkeit, die sich in Cambridge über die Prinzipien von Höflichkeit und Anstand hinwegsetzte, in der Provinz jedoch nicht goutiert wurde.
    »Na, du weißt schon, was ich meine«, sagte er, sanfter gestimmt, zu seiner Mutter und sah sie halb lächelnd, halb besorgt an.
    »Die Gesellschaft ist geheim«, erklärte Cecil geduldig, »da mit erst gar keiner groß Theater macht, um aufgenommen zu werden. Aber als ich gewählt wurde, habe ich es gleich als Erstes dem General erzählt. Und da sie selbst ein großer Freund von Offenheit ist, wird sie es wohl meinem Vater weitererzählt haben. Mein Großvater war auch Mitglied, damals in den Vierzigern. Viele bedeutende Männer.«
    »Mit Politik haben wir jedenfalls nichts zu tun«, sagte George, »und weltlichen Ruhm streben wir auch nicht an. Wir sind durch und durch demokratisch.«
    »Ganz recht«, bemerkte Cecil mit einem Anflug von Be dauern. »Es waren selbstverständlich auch viele große Schriftsteller unter den Mitgliedern.« Er senkte den Blick, klimperte züchtig mit den Wimpern, rückte ein Stück vor und versetzte George unterm Tisch einen brutalen Tritt. »Oh, das tut mir aber leid«, sagte er, als George vor Schmerz aufschrie; doch noch ehe die anderen begriffen, was geschehen war, drehte sich das Gespräch bereits um andere Dinge, während bei George ein Gefühl schuldbewussten Grolls zurückblieb und darüber hinaus ein rätselhaftes Bild von einem fahrenden Zug, der von einem anderen verdeckt wird: das große kollektive Geheimnis der Gesellschaft, und dahinter das ande re, unaussprechliche, den Blicken noch ganz entzogen.
    Als der Pudding hereingebracht wurde, sehnte George das Ende des Dinners herbei und fragte sich, wie er es auf galante Weise anstellen konnte, Cecil wieder ganz für sich allein zu haben. Während die anderen absichtlich oder aus einer Laune heraus mit dem Essen bummelten, schlangen er und Cecil die Speisen regelrecht in sich hinein. In der Schlussphase solcher Abende fiel seine Mutter gern in eine Art Trance kunstvollen Hinauszögerns, allein der fiebrigen Freude, zu Tisch zu sitzen, geschuldet, und winselte schelmisch um ein Schlückchen Wein. Eine anschließende halbe Stunde beim Port wäre absolut unerträglich. Huberts freundlich gemeinte Banalitäten waren so ermüdend wie Daphnes plumpes Geplapper. »Das wird Sie interessieren«, hob er umständlich zu einem Bericht über etwas an, was ohnehin allen bekannt war. Bei so wenigen Personen wie heute Abend ließe sich ja vielleicht die Tafel aufheben, dachte George, oder würde Cecil das als schlechten Stil empfinden? War ihm nicht unendlich langweilig? Oder fühlte er sich , im Gegenteil, pudelwohl? War ihm Georges offensichtlicher Wunsch, die Mahlzeit so rasch wie möglich zu beenden und von seiner Familie loszukommen, möglichweise sogar peinlich? Als seine Mutter mit dem Stuhl nach hinten rückte und verhalten lächelnd »Sollen wir …?« zu Mrs Kalbeck sagte, sah George zu Cecil, der das Lächeln
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