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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn
Autoren: Unbekannter Autor
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erst einmal in Jurys Wohnung, einer von vieren in dem Reihenhaus, und richtete den Blick zur Zimmerdecke - dem Fußboden besagten Apartments in der ersten Etage.
    »Mrs. Wassermann, ich würde mir keine Sorgen machen, Carole-Anne wird schon nicht an jemand Unpassenden vermieten. Sie kennen sie doch - sie ist pingelig.«
    Carole-Anne wohnte in der kleinsten und billigsten Wohnung im obersten Stock, die dank ihrer Übereinkunft mit dem Hausbesitzer noch billiger wurde; für einen Mietnachlaß nahm sie ihm die Verwaltung der leeren Wohnung ab. Mr. Moshegeiian, Lette oder Litauer und ein kluger Kopf, hatte sofort begriffen, daß die Wohnung todsicher weggehen würde, wenn Carole-Anne sie den Interessenten zeigte, besonders, wenn diese männlichen Geschlechts waren. Doch davon ganz abgesehen, wäre Mr. Moshegeiian Miss Palutskis Überzeugungskünsten ohnehin erlegen.
    »Und Mr. Moshegeiian ist auch nicht von gestern«, fügte Jury hinzu.
    »Das sind Besitzer von Elendsquartieren nie«, flötete Mrs. Wassermann.
    Jury lachte. »Ich würde dieses Haus ja nun kaum als Elendsquartier bezeichnen, Mrs. Wassermann.« Er inspizierte einen Socken, den er in die Reisetasche packen wollte. Ein Loch, durch das man die Faust stecken konnte. Er warf ihn in den Papierkorb. »Und Carole-Anne ist wirklich eigen.« Das wiederum war nicht übertrieben, wenn »eigen« in diesem Fall auch einen spezifischen Carole-Anneschen Hintersinn annahm.
    »Aber genau das ist ja das Problem, Mr. Jury. Jetzt war doch neulich abends erst so ein reizendes junges Paar hier, um sich die Wohnung anzusehen. Sie waren extra aus Wandsworth gekommen. Frisch verheiratet, und sie haben gesagt, es sei genau, was sie suchten. Aber nein. Ihre Kreditwürdigkeit sei unter aller Sau, erzählt Carole-Anne mir.« Mrs. Wassermann sah geknickt aus, als lasse auch ihre Kreditwürdigkeit arg zu wünschen übrig. Sie war zwar auch nicht von gestern, aber manchmal schwamm sie einfach nicht auf Palutskischer Wellenlänge. Die Palutskischen Wellen verschlangen jedes männliche Wesen zwischen zwanzig und sechzig in Reichweite der lapislazuliblauen Augen. Reizende junge Paare hingegen überging Carole-Anne, als hätte sie einen weißen Stock in der Hand und einen Blindenhund an der Leine.
    Seit neuestem empfand Mrs. Wassermann die leere Wohnung über Jurys als Bedrohung Nummer eins, ein unermeßlich weites, brachliegendes Stück Stadtlandschaft, in Gefahr, von Ratten und Räubern überrannt zu werden. Mrs. Wassermann war den ganzen Tag zu Hause, und zwar meistens allein, wo doch Jury so oft fort war und Carole-Anne ihrer Variante eines »festen« Jobs in Covent Garden nachging, sprich: stundenweise (wie es ihr in den Kram paßte) und nur, wenn es dem hoffnungsvollen Beginn ihrer Schauspielerkarriere nicht in die Quere kam.
    Nun wurde das Problem sogar noch drückender, denn Carole-Anne war auch nachts nicht da, schon seit zwei Wochen nicht mehr, seitdem das Stück, in dem sie eine winzige Rolle ergattert hatte, in Chiswick lief. Jury hatte Mrs. Wassermann zur Premiere eingeladen und war überrascht gewesen, daß das Mädchen Theater spielen konnte (Mrs. Wassermann war nicht überrascht gewesen, denn sie glaubte, Carole-Anne könne alles). Tatsächlich war das Mädchen das einzige gewesen, das anzusehen sich lohnte. Ansonsten quälte sich die Inszenierung dahin und zappelte wie ein Fisch, der sich nur ungern an Land ziehen läßt. Carole-Anne glänzte. An dem Abend hatte Jury den Regisseur und Produzenten kennengelernt, einen albernen Schwätzer, der meinte, das Stück ginge ins West End. Carole-Anne meinte, es ginge den Bach runter.
    »Der Socken, den Sie da wegwerfen, ist doch noch völlig in Ordnung«, sagte Mrs. Wassermann und rettete ihn aus dem Papierkorb. »Den kann ich problemlos stopfen.« Sie öffnete ihre Handtasche und verstaute den Socken. Trübselig betrachtete sie Jurys Koffer. »Und Sie fahren schon wieder weg.« Mißbilligend schnalzte sie mit der Zunge.
    »Nicht lange - nur ein paar Tage. Ich will meinen Freund in Northants besuchen.«
    »Ach ja, den Grafen. Warum besucht er Sie nicht?«
    »Na ja, wenn er nach London kommt, wohnt er immer im Brown’s. Sie wissen doch, in Mayfair.«
    Mrs. Wassermann ließ nachdenklich den Verschluß ihrer Handtasche auf- und zuschnappen. Dann sagte sie: »Überlegen Sie doch mal. Wäre es nicht schön für ihn, wenn er, na, Sie wissen schon, eine kleine Zweitwohnung hätte?«
    Ihr Blick war zur Decke gerichtet.
Kapitel 4/I
    »Wie ich
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