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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn
Autoren: Unbekannter Autor
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das Mädchen und stand auf.
Kapitel 2/II
    Sie hieß Bea und er Gabe, und im Gegensatz zu den Wärtern in der Tate Gallery entging Richard Jury die Ironie nicht.
    Keine Sekunde hatte das Mädchen aufgehört, Kaugummi zu kauen. Ihr rotes Haar war zu Stacheln hochtoupiert; der schwarze Lederrock bedeckte knapp ihr Hinterteil. Wenn überhaupt, war sie die Underground-Version von Dante Gabriel Rossettis Beatrice.
    Im Moment besorgte der Junge, Gabe, das Reden, obwohl Bea seine kehligen Laute mit ihren nicht weniger kehligen fleißig unterbrach. »Woher sollten wir das schnallen? Konnte ja voll blau sein, ey.«
    »Oder an der Nadel«, sagte Gabe, ganz der Welterfahrene.
    Richard Jury sah, daß es jenseits der Vorstellungskraft dieser beiden lag, daß ein Lebenslicht auch aus anderen Gründen verlöschen konnte. Tot, breit, high - es kam, wie’s kam.
    Die tote Frau war auf einer Bahre über den glänzenden Boden weggerollt worden. Inspektor Marks von der Londoner Kripo hatte ihren Abtransport überwacht und unterhielt sich jetzt (sichtlich erleichtert) mit Scotland Yard, Mordkommission, in Gestalt von Superintendent Jury. Jury war vor Marks in dem Raum gewesen und hatte mit Hilfe der Wärter die Leute - ungefähr ein Dutzend - davon abgehalten, fortzugehen.
    Er war zufällig in der Tate gewesen, um die »Swagger«-Ausstellung mit den protzigen Bildern der feinen Gesellschaft zu sehen, bevor sie zu Ende ging. Er hielt sich für unterbelichtet, was die bildenden Künste anging, und dachte, ein bißchen Nachhilfe über die Unterschiede zwischen Reynolds und Gainsborough könnte ihm nicht schaden. Von allen Gemäldegalerien in London gefiel Jury die Tate am besten. Und Bea und Gabe hatten ihre schreckliche Entdeckung in seinem Lieblingsraum gemacht, dort, wo er sich gerade befand. Rossetti, Burne-Jones, William Holman Hunt, Millais’ Ophelia - er fand sie alle unbeschreiblich romantisch. Der Junge und das Mädchen hatten vor dem Rossetti-Gemälde am einen Ende der Bank gesessen, die Frau im rechten Winkel dazu vor dem berühmten Bildnis Chattertons.
    »Mrs. Frances Hamilton«, sagte Inspektor Marks und schaute in seine Notizen. »Warminster Road, Belgravia. Ausweisen konnte sie sich wahrhaftig - sechs Kreditkarten, Scheckhefte. Aber kein Führerschein.«
    Warum kam ihm die Adresse bekannt vor? Jury runzelte die Stirn, wußte aber nicht, wo er sie einordnen sollte. Er hatte sich abseits gehalten, als die Kripo und der Gerichtsmediziner Fotos machten und an der Leiche von Frances Hamilton herumfingerten. Der Arzt vermutete einen Schlaganfall, aber sicher war er nicht. Die verstorbene Mrs. Hamilton sei fortgeschrittenen Alters, aber kaum älter als sechzig, bei guter Gesundheit. Vor einer genaueren Untersuchung könne er ihnen mehr nicht sagen.
    »Hat einer von denen gesehen, wie es passiert ist?« Jury deutete mit dem Kopf in Richtung des nervösen Grüpp-chens Galeriebesucher in einer Ecke des Raumes. Sie wurden von Marks’ Männern befragt.
    »Nein. Nur die beiden Jugendlichen. Und gesehen haben die auch erst dann etwas, als sie neben ihnen zusammengesunken ist. Witzig mit den Blagen, da tun sie immer so, als könnte ihnen keiner mehr was vormachen und nichts könnte sie erschüttern. Aber wenn dann wirklich mal jemand abkratzt oder ein Notfall eintritt, gucken sie dumm aus der Wäsche.«
Kapitel 2/III
    Thomas Chatterton, die Haut wie blaues Eis, lag auf dem schmalen Bett, der Arm hing elegant über die Kante, die Finger berührten fast den Boden, als wolle er die Fetzen der Manuskriptseiten, die - auf dem Bild - aussahen wie verstreutes Konfetti, von den blanken Dielen wieder einsammeln. Die Blätter hatte der Dichter zerrissen, bevor er den tödlichen Trank nahm.
    Der herrliche Knabe. Hatte ihn nicht jemand einmal so genannt, überlegte Jury. Er saß auf derselben Bank an ungefähr derselben Stelle, wo die Frau vor kaum mehr als zwei Stunden gesessen hatte.
    Jury war immer der Meinung gewesen, daß Chatterton ein Leben geführt hatte, wie man es sich trauriger nicht vorstellen konnte. Die siebzehnjährigen Jugendlichen, denen Jury begegnete, waren entweder auf Heroin, klauten Autos oder zockten die Kreditkarten ihrer Eltern ab. Je nachdem, in welchem Stadtteil Londons er gerade zu tun hatte.
    Mit siebzehn hatte Thomas Chatterton die literarische Welt mit einem Gedichtzyklus in Erstaunen versetzt. Nach Jurys Überzeugung hatte sich niemand wirklich dafür interessiert, daß die Rowley-Gedichte eine Fälschung waren. Außer
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