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Freiwild Mann

Freiwild Mann

Titel: Freiwild Mann
Autoren: Edmund Cooper
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pflegen kannst. Jetzt muß ich mich erst einmal erholen.“
    Rura wollte nicht an morgen denken. Wenn sie doch nur die Hauptfeder in der Uhr der Zeit zerstören könnte.
    „Das ist dein Land, Diarmid. Ich bin hier fremd. Wie viel weiter nach Norden können wir fahren?“
    „Vielleicht noch fünfzig, sechzig Kilometer. Dann kommen wir zum Kap Wrath, dem Ende der Welt, Rura, wild, einsam, wunderschön. Die Klippen steigen dreihundert Meter direkt aus dem Meer auf. Ein ödes Land … Das Ende der Welt … Vielleicht außerhalb der Reichweite dieser ekligen Metallfliegen, die durch den Himmel schwirren.“
    „Schaffst du es bis zum Frauto?“
    „Rura, du hast mich glänzend verarztet. Ich habe keine Schmerzen und fühle mich nur leicht beschwingt, als ob ich Whisky getrunken hätte.“
    Aber er konnte nicht auf eigenen Füßen stehenbleiben, und der Atem rasselte schmerzhaft in seinen Lungen, als er sich zum Frauto schleppen wollte.
    „Soll ich weiter an der Küste entlangfahren?“
    „Nein, Mädel, fahr ins Inland. Wenn wir nach Norden fahren, dann wird es schnell dunkel. Ich habe keine Lust, zwischen dem Meer und einer Steinwand unbeweglich eingekeilt festzusitzen.“
    Als Rura abhob, stand die Sonne sehr niedrig über dem Meer. Niedrig jetzt und dunkelrot. Vielleicht würde noch eine Stunde lang Tageslicht herrschen, vielleicht auch ein wenig länger.
    Sie schaute zur Sonne hin, für einen Augenblick nur, sog die einsame Größe in sich auf. Dann fuhr sie den Strand entlang und suchte nach einer leicht passierbaren Route ins Inland.
     

32
     
    In der Nacht schneite es; nicht stark, aber genug, um die Scheiben des Frautos zu bedecken. Rura hatte die Heizung die ganze Zeit über angelassen, aber die Batterie entlud sich, und es war nicht sehr warm.
    In der ersten Hälfte der Nacht schlief Diarmid, fast bewegungslos, der Atem flach, aber gleichmäßig. In den frühen Morgenstunden kam das Fieber. Er wand sich und zuckte in dem Sitz, der zurückgeklappt war, so daß er beinahe einer Couch glich. Er zuckte und wand sich und weinte und sprach in einer Sprache, die Rura nicht verstehen konnte. Sie nahm an, daß es die tote gälische Sprache war. Möglicherweise hatte er als Kind etwas davon mitbekommen.
    Wenn er zitterte, wickelte sie das Schaffell enger um ihn. Wenn ihm heiß war, lockerte sie seine Kleidung und schaltete den Ventilator an.
    Das Frauto stand auf einem Ausläufer von Kap Wrath. Diarmid hatte recht gehabt. Es war das Ende der Welt. Draußen war nichts als Schnee und Moorland und große Klippen, die durch das Dunkel bis zum Meer reichten.
    „Mein Mann stirbt“, dachte sie dumpf, „und ich kann nichts für ihn tun … Doch, es gibt doch etwas, das ich für ihn tun kann. Ich kann seine Leiche dem Meer überantworten und beten, daß er in einen Felsen verwandelt wird, der für immer an irgendeinem schottischen Strand liegt, während die Jahre wie Sekunden verfliegen und während die Vögel ihn an jedem Sommermorgen umkreisen, solange es die Welt gibt. Und dann kann ich mir wie ein Tier irgendeine Höhle suchen, die mir den Winter über Schutz gibt, und im Frühling bringe ich einen Jungen zur Welt. Das ist alles, was ich für ihn tun kann. Es muß genügen.“
    Kurz vor Morgengrauen schien das Fieber zu schwinden. Es wich sehr schnell und ließ Diarmid unnormal kalt zurück. Er wachte auf. Seine Beine schmerzten, aber nicht allzu stark.
    „Wo sind wir, Rura?“
    „Kap Wrath. Du hast gesagt, ich solle uns hierherbringen.“
    „Habe ich das? Stimmt. Eine kluge Entscheidung. Kap Wrath ist weit weg von Carlisle, innerhalb von Schottland so ziemlich die größtmögliche Distanz dazu … Es hat geschneit. Du siehst müde aus. Habe ich dir große Schwierigkeiten gemacht?“
    „Ich bin nicht müde“, log sie, „und du hast kaum Schwierigkeiten gemacht.“
    „Wie alt bist du?“
    „Zwanzig.“
    „Es tut mir leid.“
    „Was tut dir leid?“
    „Daß ich beinahe doppelt so alt bin wie du, Rura. Ich habe mehr Sommer gesehen, ich habe mehr Winter ausgehalten. Ich habe mehr Erinnerungen. Es tut mir leid.“
    „Es braucht dir nicht leid zu tun. Im Frühling schenke ich dir einen Sohn. Das sollte mir eine gewisse Reife geben. Der Sohn von Diarmid MacDiarmid macht es einem bestimmt nicht leicht.“
    „Rura, wir lieben einander. Seltsam, nicht wahr? Die Vernichterin und das Hochlandschwein. Wir lieben einander, und wir dürfen uns gegenseitig nicht anlügen. Ich sterbe. Du weißt es.“
    „Ja, ich weiß
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