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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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er hatte ein Geheimnis. »Was soll ich tun, Thekla?«
    »Das kann ich dir nicht sagen, Kind.«
    »Ich will das Richtige tun.« Das wollte ich immer.
    Sie lachte auf. »Und was ist das Richtige?«
    »Das weiß ich eben nicht, Herrgott!«
    Sie legte ihre runzelige Hand auf meine. »Das Richtige gibt es nicht. Es gibt nur deine Entscheidung. Wie immer sie ausfällt, sie ist die richtige.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Weil es eine Entscheidung ist. Jede Entscheidung, die du getroffen hast, hat dich dahin geführt, wo du jetzt bist.«
    Das war es ja eben. Hätte ich mich anders entschieden, hätte ich mein Bein noch.
    »Dein Bein ja und deine Liebe nicht. Manchmal hat die Liebe einen hohen Preis.« Mir war klar, dass sie das nicht nur so daherredete. Sie liebte ein Haus. Ich nahm die Katze auf den Schoß und streichelte ihr seidiges Fell. Nach einer Weile trank ich den letzten Schluck Kaffee, steckte den Stern ein und sagte: »Danke, Thekla.«
    Als ich aus dem Haus trat, brach die Sonne durch die Wolken.
     
    Die Sonnenstrahlen glitzerten durch die Kristallgläser und malten Kringel auf den Tisch. Wein zum Mittag, und der Tag lag vor uns wie der Rest der Zeit, die uns blieb. Tom tauchte ein Croissant in seinen Kaffee.
    »Ich bin froh, dass du zurück bist, Claire«, sagte er. Seine Augen lächelten in ihrem schweren Blau. Er schien sich kein bisschen zu wundern, dass ich schon wieder da war.
    »Gut«, sagte ich und sah aus dem Fenster, draußen das Meer. In der Küche ein Geruch von Zimt und frischem Brot. Ich war auch froh, zurück zu sein. Irgendwie.
    »Und? Hast du gefunden, was du gesucht hast?« Er hielt die Luft an.
    »Nein.«
    »Und was jetzt?«
    »Nichts.«
    Seine Hand zitterte ein wenig, als sie meine berührte.
    »Weißt du«, sagte ich. »Es war nur ein Traum.« Ein Alptraum, dachte ich. Vorbei. Sollen die Geheimnisse bleiben, was sie sind.
    »Ich habe alles.« Und hatte alles, fügte ich für mich hinzu. Immer schon. Ich lehnte mich zurück und schob die Hände in die Taschen. Wieder fand ich das Sternchen darin. Es war ganz warm.
    »Was ist das?«, fragte Tom.
    Ein Stück Holz, Olive, wenn ich mich recht entsann. Der Stern hatte ein Geschenk von mir sein sollen, nichts sonst. Nun, er war zu mir zurückgekehrt. Ich drehte ihn zwischen den Fingern. An ihm hing eine Geschichte ohne Grenzen, ohne Boden und ohne Wärme. Ich hatte mich gefürchtet und verloren darin. Irgendwann war sie vorüber, ich war erleichtert und hatte weiter gelitten, noch lange danach.
    Als ich aufblickte, wartete die Frage noch immer in Toms Gesicht. Aber es war etwas hinzugekommen, etwas, das ich nie zuvor entdeckt hatte, mehr als Wohlwollen, eine Verbindlichkeit, die mich meinte. Mich. Claire.
    »Was ist das?«, wiederholte er.
    »Eine alte Geschichte.« Vorbei, dachte ich. Ich sah nach draußen. Das Meer hatte eine Farbe …
    Eine Weile war es still bis auf die entfernte Brandung. Alte Geschichten. „Was ist mit Sophie?“, fragte ich und hielt die Luft an, Unruhe in der Brust.
    „Nichts.“ Tom nahm meine Hand, lächelte. „Nichts mehr. Nie mehr. Sie wird zurechtkommen, irgendwie.“
    Ich atmete aus. Vorbei.
    »Bald ist Weihnachten«, sagte Tom.
    »Das erste«, sagte ich. »Und dann?«
    »Ich kann dir nichts versprechen. Lass es uns einfach versuchen.«
    Damit konnte ich leben. Ich hielt den Stern in der Hand und überlegte, was ich mit ihm tun sollte, dann steckte ich ihn ein. Einen Stern, dachte ich, konnte man immer einmal brauchen.

32
    »Zieh dir was über, Julia, und komm mit.« Conrad stürmte ins Büro und schnappte den Ledermantel, den er gegen seinen allgegenwärtigen Trenchcoat getauscht hatte. Ohne vom Bildschirm aufzusehen, fragte sie: »Was gibt’s?«
    »Einen Unfall in der Nähe des Bahnhofs.« Das hätte Conrad vielleicht nicht verraten sollen, Unfall in Zusammenhang mit Bahnhof ließ sofort an Selbstmörder denken.
    »Und dafür sind wir zuständig? Kannst du nicht Sven mitnehmen?« Julia hatte die Gefahr erkannt.
    »Komm schon. Sven ist heute in den Weihnachtsurlaub gefahren, nach Kärnten, und hofft auf Schnee.«
    Seufzend griff sie nach ihrer Steppjacke. »Ein bisschen Schnee wäre hier auch nicht schlecht. Hat Sammy einen Schlitten?« Es interessierte sie nicht wirklich, aber es lenkte ab.
    »Noch nicht, aber zu Weihnachten bekommt er einen.«
    »Dann sag Petrus Bescheid, dass er für die Nutzungsmöglichkeiten sorgt.«
    Sie eilten den Gang entlang und traten in den Nieselregen hinaus. »So viel zum
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