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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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vergessen.«
    »Vergessen, ja? Ich hab dir doch gesagt, dass sie vergesslich ist. Man muss auf sie aufpassen.«
    »So vergesslich nun auch wieder nicht. Und zum Aufpassen hat sie ja jetzt jemanden. Ich weiß gar nicht, was du hast.«
    Die beiden Alten unterhielten sich angeregt, und Conrad musste zugeben, dass seine Mutter besser, ja lebendiger aussah, als all die Jahre nach seines Vaters Tod. Er konnte zu Ostendarp stehen, wie er wollte, seiner Mutter tat er offensichtlich gut. So gesehen, konnte man der Eichler fast dankbar sein, dass sie ihn niedergestochen hatte, um an die Recherchen zu kommen, die er zu den Verhältnissen im Altenheim unternommen hatte. Auf diese Weise aber auch Eck vom Mordverdacht befreien zu wollen, war eine idiotische Idee von der Eichler gewesen, der Conrad keinen Augenblick gefolgt war. Glücklicherweise hatte Julia kurz zuvor Ostendarp besucht und die Dokumente bereits mitgenommen. Alles war Zufall, irgendwie. Conrad beruhigte sich allmählich. Einen Moment schloss er die Augen und hielt das Gesicht der Sonne entgegen. »Ich habe dein Auto nicht gesehen. Wie bist du eigentlich hergekommen?«
    »Zu Fuß«, sagte Julia. An so einem Tag war das kein Wunder.
    »Soll ich dich mit zurück in die Stadt nehmen?« Dabei mochte er diesen Platz noch gar nicht aufgeben. Aber er wollte noch bei Anke und Sammy vorbei.
    »Nein. Ich werde abgeholt.«
    »Ach?«, sagte er träge.
    »Ja.«
    »Darf man wissen, wer es ist?«
    »Henry Freitag.«
    »Was?« Er schnellte nach vorn und wäre fast von der Schaukel gekippt. »Spinnst du?«
    »Was willst du? Der Fall ist abgeschlossen.«
    »Abgeschlossen nennst du das? Er hat den Mord an seinem Vater gestanden!«
    »Und Sophie und die Witwe haben das auch.«
    »Verstehst du denn nicht? Wir haben ihnen nichts beweisen können. Und weil alle bei ihren Geständnissen geblieben sind, gab es keine rechtliche Grundlage für einen Prozess. Das heißt noch lange nicht, dass er kein Mörder ist. Du musst völlig übergeschnappt sein!«
    »Conrad, du siehst Gespenster.« Nicht mehr ganz so selbstsicher zupfte Julia an ihrer Bluse herum. »Außerdem will ich ihn nicht heiraten. Er war bloß auf dem Weg nach Billerbeck und hat mich ein Stück mitgenommen, den Rest bin ich zu Fuß gegangen. Auf dem Rückweg sammelt er mich wieder ein.«
    Conrad betrachtete sie von der Seite. Für solch ein zufälliges Arrangement hatte sie sich auffallend nett zurecht gemacht.
    »Er gefällt dir.«
    »Quatsch! Aber er hat eine sympathische Art«, gab sie zu.
    »Lass die Finger von ihm, kann ich dir nur raten.« Conrad stand auf. Jossel war sofort bei ihm und stupste seine Schnauze gegen seinen Oberschenkel.
    »Ja, ja. Pass du auf deine eigenen Finger auf«, rief sie ihm nach.
    Conrad schlenderte zur Terrasse hinüber. Seine Mutter kicherte über den Tisch gebeugt. Als er sich verabschiedete, fehlten ihm beinahe ihre Ermahnungen, sich bald wieder sehen zu lassen. Er setzte sich in seinen Wagen und blickte durch die Windschutzscheibe. Der Tag war noch lang. Gut, er würde Sammy besuchen. Das war hübsch. Der Junge war fröhlicher geworden, seit seine Mutter zu Hause war, und das wärmte ihm das Herz. Auch Anke kam ihm gelassener vor, obwohl sie ihre Arbeit vermisste. Doch die Aussicht auf eine neue Stelle im September mit einem sicheren, wenn auch niedrigeren Einkommen, wirkte sich günstig auf ihre Stimmung aus. Als Leiterin der Personalabteilung einer großen Farbenfirma übertrüge man ihr gewiss ein hohes Maß an Verantwortung, und zu verreisen brauchte sie dann auch nicht mehr. Alle waren glücklich. Zauberhaft! Conrad startete den Motor und fühlte sich trübe.
     
    Das Lachen der letzten Biergartengäste war gegen Mitternacht verklungen. Conrad saß auf dem Balkon, umgeben von samtiger Dunkelheit. Ein Käuzchen schrie. Es war spät, und er müsste zu Bett. Doch was sollte er da? Die letzten Nächte hatte er im Wohnzimmer vor dem laufenden Fernseher verbracht, war in die Küche gestolpert, um sich einen Kaffee zu machen, den er dann kalt werden ließ. Wenn die Dämmerung hereinbrach, überfielen ihn die Gedanken wie böse Geister, immer wieder, jede Nacht und immer dieselben. Er hatte etwas falsch gemacht. An irgendeinem Abzweig war er falsch abgebogen und nun hing er fest in diesem Beruf, in dieser Wohnung, ohne Familie, ohne … Was war mit ihm los? Er sollte froh sein, über alles, was er hatte – einen Beruf, eine Wohnung, eine Familie, die er besuchen konnte, eine Freundin, die er
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