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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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Während ich mir am Waschbecken das Öl von den Händen schrubbte, kehrte die Unruhe zurück, die mich seit Tagen immer wieder heimsuchte.
    »Ich muss noch mal zurück. Tom«, sagte ich. »Ich hab etwas vergessen.« Oder nicht genug vergessen, dachte ich.
    »Bist du Weihnachten wieder da?« Tom wollte nicht, dass ich an die Saar fuhr. Ich sagte »an die Saar«, »nach Hause« wäre mir nicht richtig erschienen. Wir hatten lange darüber gestritten. Er wollte, dass ich blieb und Plätzchen buk.
    »Ich glaube schon. Warte aber nicht auf mich. Ich weiß nicht, was ich finde.«
    Er sah mich nicht an, aber sein Rücken verriet Trauer, keine Angst. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass ihm etwas an mir liegen könnte. An mir.
     
    Meine neue Göttin schnurrte wie ein Kätzchen die kahlen Alleen entlang. Es hatte mich Zeit und Mühe gekostet, einen Citroën DS mit Automatikgetriebe zu finden und aufzuarbeiten, sodass er wieder wie frisch vom Band aussah. Am liebsten wäre ich weitergefahren, doch ein Wagen brauchte Benzin, wenn er mich an die Saar bringen sollte, also hielt ich an der kleinen Tankstelle am Ortsausgang noch einmal an. Sie hatte geschlossen, Mittagspause. Ich war zu spät, immer war ich zu spät. Oder zu früh. Wenn ich nur eine weitere Tasse Kaffee bei Tom getrunken hätte, gäbe es mein Bein noch. Wie oft hatte ich mir das gesagt oder mich gefragt, warum ich ausgerechnet in diesem und keinem anderen Moment losgefahren war? Ich wusste, dass diese Grübelei zu nichts führte.
    Eine Weile betrachtete ich das »Geschlossen«-Schild hinter der Scheibe. Sollte ich zurückfahren und morgen in aller Frühe einen neuen Anlauf starten? Der Tag war schon fortgeschritten, und es würde Nacht sein, bevor ich ankam. Der Ort lag wie ausgestorben, nicht einmal einen Kaffee konnte man hier kriegen. Der Wind pfiff zwischen den Häusern hindurch, und ich stellte meinen Kragen auf. Plötzlich trat eine kleine Gestalt aus dem Häuschen auf der gegenüberliegenden Straßenseite und winkte mir zu. Die Gestalt, in ein langes Strickkleid gehüllt, darüber einen roten Poncho, kam mir bekannt vor. Ich überquerte die Straße und begrüßte Thekla.
    »Die Tankstelle öffnet neuerdings, wann sie will«, sagte sie. »Komm rein, wenn du einen Kaffee vertragen kannst.« Sie gab mir den Weg frei, in einen engen Flur hinein und schob mich weiter bis in die Küche.
    »Rosa ist zur Kur. Ich gieße die Blumen und versorge die Katzen solange«, erklärte sie mir, während sie Wasser in einen Kessel ließ und ihn auf den Herd stellte. »Und du? Noch ein paar Weihnachtseinkäufe machen?« Tom hatte ihr offenbar nichts gesagt.
    »Ich muss noch was erledigen. Es dauert länger.« Das Aroma frisch gemahlener Bohnen erfüllte den Raum, als Thekla das kochende Wasser über den Kaffee goss.
    »Es ist wichtig, was?«
    »Ja. Irgendwie.«
    Sie räumte geblümte Tassen aus feinem Porzellan auf den Küchentisch. »Ja, oder irgendwie?«
    »Ich weiß nicht.« Ich fühlte mich unwohl unter ihrem prüfenden Blick.
    »Du willst zurück, oder?«
    »Ja. Nein.«
    Während sie zwei Löffel Zucker nahm und umrührte, sagte sie: »Gefällt es dir hier nicht?«
    Jetzt hätte ich eine Zigarette gebrauchen können, aber die Tankstelle hatte zu, und mein Tabak war alle.
    »Doch, Thekla, das ist es nicht. Es sind nur ein paar Sachen offen, die ich wissen muss.«
    »Musst du?«
    Bis eben hatte ich gedacht, dass ich müsste, bis ich Toms Trauer gespürt hatte.
    »Ich habe immer irgendetwas gemusst.« Ich nahm einen Schluck von dem köstlichen Getränk. Thekla kochte den besten Kaffee, den ich je getrunken hatte. Ich wusste nicht, was sie hineingab, das ihn so aromatisch und belebend machte.
    »Wolltest du nicht aufhören zu müssen, Claire?« In ihrem Blick lag Wärme. Eine Katze strich um meine Beine.
    »Ja. Aber wenn ich nicht weiß, wo ich hergekommen bin, wie soll ich wissen, wie es weitergehen soll?«
    »Und du weißt nicht, wo du hergekommen bist?«
    Ich überlegte eine Weile. Sicher wusste ich das. Dennoch kam es mir so vor, als gäbe es noch ein Geheimnis.
    »Es gibt immer irgendein Geheimnis«, sagte Thekla, als habe sie meine Gedanken erraten. »Wir sind umgeben von Geheimnissen. Es braucht ein ganzes langes Leben, um einige von ihnen zu lüften. Hinter alle werden wir wohl kaum kommen. Du kannst dich fragen, wie viel dir dieses Geheimnis wert ist.«
    »Das habe ich getan.« Nur war ich mir nicht mehr sicher. Ich holte einen Stern aus meiner Hosentasche, auch
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