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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Autoren: Ayse Auth
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Satz hört man oft aus dem Munde türkischer Eltern. In der Tat: Das Verwöhnprogramm für den Nachwuchs ist beeindruckend. Weder Kosten noch Mühen werden dabei gescheut. Unausgesprochene, aber felsenfeste Tatsache ist jedoch auch: Der elterliche Einsatz gilt vornehmlich dem männlichen Nachwuchs, zuallererst dem ältesten Sohn. Mädchen werden zwar gefordert, selten aber gefördert. Ebenso selbstverständlich ist, dass die Kinder für die Opfer, welche die Eltern für sie bringen, zu nicht unbeträchtlichen Gegenleistungen herangezogen werden. Es gibt offizielle und inoffizielle Erwartungen dieser Art. Eine offizielle ist, dass die jüngere Generation die ältere nicht abschiebt, wenn diese alt und gebrechlich wird. Inoffiziell jedoch bezahlt der Nachwuchs oft schon im Kindesalter, indem er quasi zum
gegenständlichen Besitz der Familie wird. Karrieren als Sündenböcke für familiäre Frustrationen, als schwarzes Schaf oder als Blitzableiter für elterliche Konflikte sind damit vorgezeichnet. Nicht selten werden Verpflichtungen innerhalb der Familie auch von einer Generation auf die nächste delegiert. Im Grunde musste auch unser Baba die Erfüllung seiner Pflichten gegenüber seiner Mutter an uns wehrlose Kinder delegieren.
    »Es war mir eine Ehre, wenigstens zwei meiner Kinder in meiner Heimat aufwachsen zu lassen.«
    Dies betonte er gegenüber jedem, der es hören wollte. Ja, Baba hat unsere Verpflanzung in heimatliche Erde wohl tatsächlich als Beweis seiner eigenen Vaterlandsliebe gesehen. Und für einen richtigen Türken ist sein Elternhaus der heiligste Teil Heimaterde! Wobei der Patriotismus unter den Weggezogenen oft noch höher im Kurs steht als bei den Daheimgebliebenen. Und als Vater sich dem Willen seiner Mutter unterwarf, war »Vaterlandsliebe« wohl auch ein schönes Wort, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen.
    Jedenfalls war es in unserer Familie ein absolutes Tabu, über die für uns so folgenreiche Entscheidung auch nur ein einziges kritisches Wort zu verlieren. Wie alle türkischen Männer, hatte auch unser Vater seine Mutter zu ehren! Und ich habe wirklich das Gefühl, dass es eine echte, starke Liebe zwischen den beiden war. Baba hat Babanne geradezu abgöttisch verehrt. Selbst als sie ihm auftrug, uns umtaufen zu lassen, war es für ihn keine Frage, alles dafür zu tun, ihrem Wunsch zu entsprechen. Sein Leben lang stand mein Vater voll und ganz hinter seiner Mutter.

    »Ja, wie hießen Sie denn ursprünglich?«
    Die Fremde - ich kenne nicht einmal ihren Namen - hört mir gespannt zu, aber langsam sollte ich die Katze aus dem Sack lassen. Schließlich gilt es für mich in solchen Situationen zu bedenken, dass alle Deutschen etwas gemeinsam haben: Sie wollen möglichst schnell auf den Punkt kommen, sonst werden sie ungeduldig. Selbst wenn sie sich beim Friseur stundenlang unter die Haube setzen und es dabei auch noch möglichst kurzweilig haben wollen.
    »Also, ursprünglich hieß ich Aygül, das bedeutet ›Mondrose‹.«
    Sie ist ganz baff.
    »Aber das ist ja etwas ganz anderes als Ihr jetziger Name. So verspielt und romantisch. Wundervoll! So würde man in Deutschland leider nie ein Mädchen taufen! Und Ihre Schwester?«
    »Die war zunächst eine Aysun, was ›der letzte Mond‹ oder ›der heilige Mond‹ bedeutet. So nennt man den Vollmond, wenn er sich in seiner ganzen Pracht und Vollkommenheit zeigt.«
    Was für eine extravagante Tat meiner Großmutter! Uns aus eigener Selbstherrlichkeit neue Namen zu verpassen! Einfach so, ohne Grund.
    Einfach so …? Beileibe nicht. Sonnenklar steht es mir heute vor Augen: Mit der Umbenennung nahm Babanne unser Schicksal vollends in den Griff. Es war eine Umprogrammierung. Ich selbst mutierte von einer verträumten Mondrose zu Ayşe, die sich auch heute noch die Worte Freiheit und Unabhängigkeit auf die Fahnen schreibt. Meine Schwester dagegen wurde durch einen von Allah gesegneten Namen
auf den Sockel gehoben: Hatice - so hieß die verehrte, heilige Ehefrau unseres großen Propheten Muhammad.
    Und noch mehr wird klar, wenn man genauer hinsieht: Ob bewusst oder unbewusst - Babanne hat damit versucht, ihr eigenes Schicksal zu verarbeiten. Wie ein geschlagener Mensch den ihm zugefügten Schmerz zu vergessen sucht, indem er andere schlägt, hat sie ihr eigenes Leid aus Kindertagen auf uns übertragen. Auf Hatice projizierte sie ihr Bestreben nach Anpassung, nach Harmonie mit der Familie. Auf mich dagegen ihren - natürlich vergeblichen - Protest
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