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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Autoren: Ayse Auth
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alles, um wieder von meiner eigenen Familie aufgenommen zu werden. Später wollte ich zu den Deutschen gehören und noch später zu den Erfolgreichen - zu denen, die wichtig sind, die »es geschafft« und die »das Sagen« haben.
    »Ich glaube, ich habe mich inzwischen vom Makel des Ausgestoßenseins befreit. Heute bin ich eine von denen, die den Ton angeben.«
    Ich rede inzwischen mehr zu mir selbst als zu der Kundin. Sehe ich da ein feines Lächeln in ihrem Gesicht?
    »Viele Leute legen Wert darauf, zu meinen Veranstaltungen eingeladen zu werden«, fahre ich fort und versuche möglichst unbeirrt zu erscheinen. »Die Events in meinem Salon gelten in der Mode- und Medienszene als Ereignisse, auf denen man sich zeigen muss, wenn man dazugehören will. Sie wissen schon, Sehen-und-gesehen-Werden …«
    Doch während die Sätze nur so aus mir heraussprudeln, fühle ich, dass ich mit meinen Gedanken und Gefühlen ganz woanders bin. Nun muss ich aber aufhören, ich merke, wie verwirrt ich bin. Nicht dass ich die Unwahrheit sagen oder auch nur übertreiben würde. Aber ich lenke doch einfach nur ab. Hier geht es mir zu sehr ans Eingemachte!
    »Vielen Dank fürs Zuhören. Das hat mir jetzt sehr gut getan«, sage ich nun, um Fassung bemüht, während ich ihr die Haare vom Umhang bürste.
    Sie blickt mich leicht schelmisch an:

    »Es ist leider eine schlechte Angewohnheit von mir, immer jemandem helfen zu wollen. Entschuldigen Sie bitte.«
    Doch plötzlich ist sie wieder ganz ernst:
    »In Ihrem Leben haben Sie sich wohl sehr oft unverstanden gefühlt.«
    Aha, denke ich, es folgt doch noch ein letzter Angriff auf meine Selbstbeherrschung. Schnell halte ich ihr den Spiegel vor, damit sie sich von allen Seiten betrachten kann. Und mir nur ja nicht erneut in die Augen schaut!
    »So einen Schnitt hatte ich noch nie. Ganz toll haben Sie das gemacht!«
    Sie scheint ehrlich begeistert. Erhebt sich und geht ohne Umschweife zum Empfangsdesk, um zu zahlen.
    Kein »Auf Wiedersehen«?, denke ich verdutzt.
    Aber ich habe mich getäuscht. Vor dem Hinausgehen kommt sie noch einmal auf mich zu. Sekundenlang stehen wir voreinander und schauen uns wortlos in die Augen. Dann öffnet sie die Arme und drückt mich an sich.
    »Dich hätte ich gern als meine Tochter gehabt«, flüstert sie mir mit leicht belegter Stimme ins Ohr.
    Ihre Hand streicht über meinen Kopf, und ich habe wirklich das Gefühl, endlich einmal von meiner Mutter liebkost zu werden.
    Ich habe diese Frau nie wiedergesehen.

Die weise Frau von Susurluk
    Susurluk, Westtürkei, ab 1967
     
     
     
     
    Der Ort, an dem ich meine Kindheit und frühe Jugend verbrachte, heißt Susurluk. Heutzutage dauert die Autofahrt von dort nach Istanbul nicht einmal zwei Stunden. Das klingt, als sei Susurluk fast der Vorort einer Metropole, nicht wahr? Uns kam es aber beileibe nicht so vor. Für uns schien Istanbul etwa so weit entfernt wie New York.
    Dieses Nest war zu groß und zu quirlig, um ein Dorf zu sein, aber zu klein und zu ländlich für eine richtige Stadt. Alles in allem eine typisch türkische Lebenswelt, dieses Susurluk. Es gab nur eine Schule, aber mehrere Moscheen. Oma achtete sehr darauf, dass wir alle Pflichten unseren Lehrern und der Religion gegenüber erfüllten. Mitten im Ortszentrum lag Susurluk Parkı , eine wirklich wunderschöne Grünanlage, ein ausgesprochen beliebter Treffpunkt für Frauen, Familien und Kinder. Dem Grundschulalter entwachsen, durften wir dorthin zum Spielen, es sei denn, wir hatten etwas ausgefressen. Oma selbst kam natürlich nie mit. Der erwachsene männliche Susurluklu fand Zerstreuung in einer ganzen Reihe Kahwes , den traditionellen türkischen Kaffeehäusern. Um diese hatten wir selbstverständlich einen großen Bogen zu machen.

    Unbestrittener Mittelpunkt des gesamten Ortes aber war der Garaj , der Busbahnhof. Um ihn herum gruppierten sich die Treffpunkte der Männer. In diesem Bezirk spielte sich auch die Freizeitgestaltung der männlichen Jugend ab. Ein Ort brodelnden Lebens, vor allem, wenn die Busse aus und nach Deutschland hier Zwischenstation machten. Für uns aber ein absolutes Tabu, leider!
    Ein überaus beliebtes Naherholungsziel für alle Susurluklular war schon damals das Marmarameer. Nun, für fast alle. Unsere Oma war zu alt für Strandausflüge, aber selbst wenn sie 30 Jahre jünger gewesen wäre - dazu hätte sie sich nie und nimmer herbeigelassen. Sie war eben anders als der Rest.
    Großmutter war in Susurluk und Umgebung ungefähr
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