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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Autoren: Ayse Auth
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gegen ein Schicksal, das ihr als Kind ebenfalls brutal aufgezwungen worden war.
    Auch unsere Oma nämlich wurde als kleines Kind aus dem elterlichen Nest gerissen. Sie war damals vier Jahre alt. Ich weiß nicht, an welcher schweren Krankheit ihre Mutter litt, aber sie muss jahrelang bettlägerig gewesen sein. Jedenfalls konnte sie nicht mehr für die kleine Arife sorgen. Mit vier Jahren brachte man das Mädchen ins Haus einer Tante. Von Baba weiß ich, dass man ihr immer wieder versicherte, sie käme wieder zu ihrer Mama zurück, sobald es dieser besser ginge. Aber es wurde und wurde nichts daraus. Erst vergingen Wochen, dann Monate. Und eines Tages hieß es, dass sie für immer bei der Tante bleiben müsste. Ihre Mutter war gestorben.
    Meine Kundin hört mir immer noch aufmerksam zu. Ich unterbreche meine Arbeit und setze zu einer mir besonders wichtigen Mitteilung an.
    »Babanne hat ihre Tante nie gemocht, sie hat sie sogar gehasst. Diese Tante hieß mit Vornamen Ayşe. Ihre geliebte Mutter aber - das war auch eine Hatice.«

    In den Augen meiner Kundin erkenne ich echtes Mitgefühl. Sie ergreift spontan meine Hand.
    »Ich weiß, dass es Ihnen nicht viel helfen wird, was ich jetzt sage«, spricht sie mit weicher Stimme, während sie weiter meine Hand hält. »Aber ich sage es trotzdem. Vielleicht denken Sie ja später noch einmal darüber nach.«
    Wir schauen uns in die Augen.
    »Wir alle haben unsere unbewussten Familienaufträge. Es ist immer eine Last, und viele werden sie sogar ihr Leben lang nicht los. Aber diejenigen, die sie uns erteilt haben, taten dies in den allerwenigsten Fällen bewusst und absichtlich. Darf ich Ihnen einen guten Rat geben?«
    Ich schaue zur Seite. Als ob ich damit verhindern könnte, dass sie sieht, wie ich mir mit der Hand eine Träne aus dem Auge wische. Dabei will ich jetzt nichts so sehr wie einen ehrlichen Rat dieser geheimnisvollen Fremden.
    »Ja, bitte sagen Sie mir, was Sie für richtig halten.«
    Sie schaut mir über den Spiegel tief in die Augen. Was für eine seltsame Situation, inmitten all des geschäftigen Treibens um uns herum. Doch keiner scheint etwas von dem Ernst unseres Gesprächs mitzubekommen. Immer noch hält die Frau meine feucht gewordene Hand.
    »Verzeihen Sie!«, sagt sie schlicht, aber bestimmt. »Verzeihen Sie Ihrer Oma. Ihren Eltern. Auch Ihrer Schwester.«
    Und nun wird ihre Stimme geradezu liebevoll.
    »Verzeihen Sie aber auch sich selbst. Vor allem sich selbst. Das ist das Schwerste. Und tun Sie es aus ganzem Herzen!«
    Jetzt stehe ich wirklich kurz davor, ungebremst loszuheulen. Aber so weit will ich es nun doch nicht kommen lassen. Also schlucke ich ein paarmal und bedeute der Kundin,
dass ich kurz weg muss, um eine andere Schere zu holen. Als ob sie nicht wüsste, was in mir vorgeht! Mit dem letzten Rest Selbstbeherrschung verschwinde ich in unserer Teeküche und versuche erst einmal, wieder zu mir zu kommen. Ich atme eine Weile bewusst tief ein und aus, trinke ein Glas Wasser und kehre dann an meinen Arbeitsplatz zurück.
    »Sie wollten doch eine Schere holen«, werde ich scherzhaft getadelt.
    Diese Person versteht gewiss etwas von Psychologie, offenbar ist sie sich ihrer Sache so sicher, dass sie sich immer noch nicht auf den Plauderton einzulassen gedenkt, den ich nun am liebsten wieder anschlagen würde. Stattdessen hakt sie nach.
    »Sie sollten vielleicht auch bedenken, dass in vielen Familien die ganze Ablehnung auf ein einziges Kind projiziert wird. Aber Sie selbst haben es doch inzwischen bestimmt geschafft, nicht mehr das schwarze Schaf zu sein.«
    Ganz direkt, aber mit wahnsinnig viel Mitgefühl schaut sie mir über den Spiegel erneut in die Augen.
    Schon wieder hat sie etwas ganz tief in mir berührt. Wie recht sie hat! Die Ablehnung der gesamten Familie! Ich, das schwarze Schaf. Und erneut fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Mir wird leicht schwindlig, während ich im Spiegel ihren Blick erwidere, der mich einerseits festnagelt, mir andererseits mit so viel Verständnis begegnet. Eine mir total fremde Frau! Was geht hier vor? Wie kann sie das wissen? Wie kann sie ahnen, dass ein Großteil meines Tuns und Lassens noch heute darauf ausgerichtet ist, anerkannt zu werden?

    Ja, was habe ich in meinem Leben nicht alles unternommen, um geliebt, geachtet und anerkannt - um überhaupt gesehen zu werden! Wie eine Verzweifelte habe ich mich immer darum bemüht, dazuzugehören. Anfangs war es Babanne, um deren Liebe ich kämpfte. Dann tat ich
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