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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Autoren: Ayse Auth
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jetzt noch die Aufgabe übertragen, zum Exklusivlieferanten von Zuwendung für die Oma zu werden.
    Wenn ich unsere Geschichte heute so erzähle, klingt sie natürlich ganz anders, als ich sie damals erlebte. Ich habe ziemlich lange gebraucht, um Hatis wahre Rolle und die für sie damit verbundenen Belastungen zu erkennen. Damals schien mir, sie genösse alle Vorteile, während ich alle Nachteile erwischt hatte. Wie habe ich darunter gelitten, dass meine Schwester der große Liebling unserer Erziehungsberechtigten war! Sie durfte (heute würde ich sagen: musste) sogar mit ihr in einem Bett schlafen. In jenem prächtigen, mit gusseisernen Girlanden verzierten Doppelbett, aus dem Opa Ali verbannt wurde, sobald wir da waren. Während er nachts in die Küche abwandern musste, wurde selbst mir noch ein Schlafplatz im Zimmer mit Oma und Schwester zugebilligt: eine Matratze auf einem hölzernen Untergestell mit drei großen Schubladen. Darin lagen eine Decke und mein Kissen, die ich jeden Abend herausholte. Da es in unserem kleinen Häuschen kein Wohnzimmer gab, diente meine Liegestatt als Sitzgelegenheit für Besucher. Und davon hatte Arife nicht wenige.

Nomen est Omen?
    Frankfurt, irgendwann im Jahr 2003
     
     
     
     
    W enn ich mit meinen Kundinnen ins Gespräch komme, werde ich manchmal nach der Bedeutung meines Namens gefragt. Dann erkläre ich, dass »Ayşe« zwei Bedeutungen hat. Es heißt sowohl »Freiheit« als auch »die Lebendige«. Das eine hat viel mit dem anderen zu tun, und falls der Name eines Menschen etwas über ihn aussagt, dann verrät meiner auch einiges über mich.
    »Ich liebe meine Freiheit und Unabhängigkeit über alles, und ein quirliger, lebenslustiger Mensch bin ich auch.«
    Soweit mein übliches Statement zu diesem Thema.
    Einmal jedoch, bei einer mir völlig unbekannten Dame, reagierte ich ganz anders. Ich weiß nicht, warum, aber auf ihre Frage antwortete ich mit einer Gegenfrage:
    »Möchten Sie erfahren, wie ich zu meinem Namen gekommen bin? Dann müsste ich aber ein bisschen ausholen …«
    Etwas an dieser Unbekannten muss mich dazu ermutigt haben. Und sie zeigt Interesse an meinem Angebot.
    »Eigentlich heiße ich gar nicht Ayşe«, eröffne ich ihr also, während ich ihr das frisch gewaschene Haar durchkämme, »das ist nur der Name, den meine Oma mir gegeben
hat. Mein eigentlicher Name wurde auf ihren Wunsch hin geändert.«
    »Aber das ist doch gar nicht so einfach!«
    »Das stimmt. Aber meine Großmutter hat immer durchgesetzt, was sie wollte.«
    Es war Großmutters zweite Tat uns gegenüber.
    » Ich erziehe die beiden, und sie haben die Namen zu tragen, die ich ihnen gebe.«
    Damit war es entschieden, und alle hatten sich zu fügen.
    Später erzählte uns Vater, welchen Heidenaufwand es bedeutete, unsere Vornamen beim Darmstädter Standesamt geändert zu bekommen. Was für ein Papierkrieg! Und dann noch wegen eines so seltsamen Anliegens: neue Vornamen für die Zwillingstöchter! Ich stelle mir das gesammelte Kopfschütteln der verdutzten Beamten vor:
    »Ja, warum haben Sie ihnen denn überhaupt erst andere Namen gegeben?«
    Wie ich unseren Vater kenne, dürfte er die Angelegenheit mit der ihm eigenen Listigkeit betrieben haben. Womöglich, indem er Sprachprobleme vorschützte, um peinlichen Fragen auszuweichen. Dabei sprach er schon damals ein ganz passables Deutsch. Jedenfalls muss es für ihn eine wahre Ochsentour durch die deutschen Amtsstuben gewesen sein. All die verständnislosen Blicke genervter Sachbearbeiter, die jede Menge Stempel auf verschiedenste Dokumente zu knallen hatten! Nicht zu fassen, dass dieser Mann sich derartig ins Zeug legte - nur um neue Vornamen für seine nicht mal ein Jahr alten Kinder zu bekommen! Aber unter dem moralischen Druck seiner Mutter lief Baba
zur Hochform auf. Er schaffte es wirklich, die Sache ganz korrekt und offiziell durchzuziehen.
    »Und wie sah er selbst das, Ihr Vater?«
    Die Stimme der Kundin holt mich aus meinen Erinnerungen heraus. Erst jetzt bemerke ich: Ich habe gar nicht bewusst und mit Bedacht erzählt, ich habe einfach nur laut gedacht.
    »Nun …«
    Ich will wieder ausholen, muss aber plötzlich lachen. »Sicher können Sie sich das nicht so richtig vorstellen, aber für meinen Vater war die ganze Aktion tatsächlich völlig normal und natürlich.«
    Türkisches Familienleben ist berühmt für beispielhafte Elternliebe, ja geradezu die Verherrlichung der Kinder durch die Eltern.
    »Wir tun alles für unsere Kinder!«
    Diesen
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