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Frederikes Hoellenfahrt

Frederikes Hoellenfahrt

Titel: Frederikes Hoellenfahrt
Autoren: Henner Kotte
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wie sie gehört haben. Bruno Ehrlicher sei Dank.«
    »Aber verfolgt er nicht private Interessen? Seine Lebensgefährtin ist eine der Geiseln.«
    »Woher haben Sie diese Information? Ich kann sie Ihnen nicht bestätigen.« Das musste Miersch der Presse noch nicht offiziell mitteilen. Die Stunde würde kommen, in der sie selbst recherchierten. Er schwieg und sah Ehrlicher vor seiner Bürotür warten. Alle Bemühungen waren gescheitert, Ehrlicher nach Hause zu schicken. Miersch wusste, dass er selbst an Ehrlichers Stelle unter keinen Umständen das Präsidium verlassen hätte. So war sein Unmut gespielt, Miersch hatte Mitleid.
    »Aus welchem sozialen Umfeld kommen die Täter?«
    »Sie sind hier geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Mehr möchte ich derzeit nicht dazu sagen.«
    Sie fragten und fragten, nach Alter, Berufen, Vorstrafenregister. Miersch gab keine wichtigen Details preis. Er sah der Meute ihre Enttäuschung an, bei nächster Gelegenheit würden sie ihn zerfleischen. Dominic Bleicher gab alle nötigen Informationen zur weiteren polizeilichen Arbeit. Die Konferenz war fast beendet. Einige verließen bereits den Raum, um schnellstmöglich ihre Meldungen abzusetzen. Telefone klingelten. Es wurde gemurmelt. Dann brüllte einer. Alles verstummte.
    »Sie haben die Verbrecher gestellt. Ein Unfall. Es brennt!«, schrie ein Journalist.
    Sofort rasten die Reporter auf ihn zu. Aus ihren Augen schossen Blitze, die Mikrofone waren Stilette, die Kameras tickende Zeitbomben.
    Miersch hatte keine Ahnung. »Woher wissen Sie das?«
    »Vom Kollegen aus unserem Hubschrauber. Von Ihnen bekommen wir ja keine Informationen!«
    Miersch bahnte sich im Eilschritt den Weg zur Einsatzzentrale. Er stolperte über die liegenden Kabel. Sie haben die Verbrecher gestellt. Ein Unfall. Es brennt!

18:05
     
    Die Veränderung war allmählich vor sich gegangen oder ganz schnell. Grün und blau mutierte zu grau und grau. Die Wälder hatten ihr sattes Grün verloren. Die Straßen ihren Asphalt. Kein Licht, weder draußen noch drinnen. Frederike saß in einem Lastzug, der sie hin und her schleuderte, hoch und runter, ohne Pause. Sie wusste, dass es ihre letzte Fahrt sein würde. Die allerletzte. Sie wusste, sie saß bereits zwischen den Toten. Sie wusste, sie gehörte zu ihnen. Ihr Leben war vorbei. Eine Rückkehr war unmöglich.
    Frederike sah, auch die Toten gehen ihre Wege. Überall sah sie die Toten. Die nicht enden wollenden Züge ihrer abgeschiedenen Seelen durchschritten ruhelos Tage und Nächte. Sie waren überall auf der Straße, im Wald, sie standen ums Auto, sie saßen mit drin.
    Überall nur der Tod. Frederike blickte sich um. Vor ihr der Tod mit schwarzer Maske, neben ihr der gleiche Mann. Tot, sie konnte nur tot sein, wie alle anderen auch. Catwoman und Superman hat es nie gegeben. Das waren Filme, Kino, das Fernsehprogramm. Sie waren Ausgeburten kranker Fantasie. Tot, sie waren tot. Sie selbst war gestorben.
    Fuhr sie oder lief sie mitten unter ihnen? Ein Blick aus dem Fenster, auf der Straße schritten sie endlos. Graue Gestalten vor grauen Bäumen. Sie musste genauso laufen, genauso aussehen, denn sie fiel unter den farblos ausgemergelten Gestalten nicht auf. Keiner hatte von ihr Notiz genommen, keiner zu ihr gesprochen oder sie angeschaut. Sie bewegten robotergleich ihre Beine, die Arme baumelten ihnen wie Stricke am Körper. Sie liefen einem Ziel zu, das sie nicht kannte. Der Abgrund. Das Ende? Der Anfang?
    Sie hatten keine Gesichter, schwarze Höhlen nur an Stelle von Augen, Mund, Nase. Alle um sie herum waren Superman und Catwoman. Sie war Superman. Sie war Catwoman. Sie trug die Maske, die alle trugen. Schwarze Schädel, graue Gerippe, so sahen die Menschen hier aus. Sie war in der Hölle. Ein unaufhörlicher Strom schwarzer Masken und bleicher Knochen. Vor und neben und hinter ihr nur graue Wälder und schlammige Straßen, und auf ihnen walzten endlos die Gestalten auf den Höllenschlund zu, auf den Höllenschlund zu.
    He, Schneidergesell, musst mit mir in die Höll. He, Schneidergesell, musst mit mir in die Höll. He, Schneidergesell, musst mit mir in die Höll. Sie sangen: Hölle. Hölle. Hölle. Wahnsinn – warum schickst du mich in die Hölle? Sie sangen noch einmal: Hölle. Hölle. Hölle. Eiskalt – lässt du meine Seele erfriern! Hölle – aber warum? Warum sie?
    Frederike sang. Und wenn sie genau hörte, vernahm sie die Gesänge der anderen, und die Psalmen ihrer Gefährten, ihre Schreie und ihre Gebete.
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