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Frau Schick macht blau

Frau Schick macht blau

Titel: Frau Schick macht blau
Autoren: Ellen Jacobi
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Und auf einmal – steht es neben dir,
An dich angelehnt
Was?
Das, was du so lang ersehnt.
    Sie widersteht mit eiserner Entschlossenheit der Verlockung, an dieser Stelle abzublenden und einfach in den Armen des Professors unter dem Apfelbaum liegen zu bleiben. Das Leben ist leider kein Gedicht. Weiter geht’s – mit einer vernichtenden Detonation im Inneren ihres Häuschens und dem Geräusch zersplitternden Holzes und dem Klirren von Porzellan.
    Herr Engels schließt seine Arme noch fester um sie. »Schau nicht hin«, raunt er heiser. »Schau nicht hin!«
    Ach, Ludwig! Ihr unter solch dramatischen Umständen das Du anzubieten, das will schon etwas heißen. Hingeschaut hat sie natürlich trotzdem. Und tut es jetzt noch mal.
    Das Bild der Verwüstung, die das Feuerwerksgeschoss angerichtet hat, ist unvergesslich.
    Frau Schick schluckt. Jetzt heißt es tapfer sein, weil es wehtun wird, wehtun muss: Kalles letzte Sprengübung mit einer Silvesterrakete, Unkrautex und Zucker war ein durchschlagender Erfolg. Ihre Laube steht zwar noch, aber die Einrichtung ist ein Trümmerfeld. Klappsofa, Küchentisch und sicher auch Paulchen Gartenzwerg sind für immer verloren. Aber was zählt das alles gegen Engels’ Verhaftung? Noch dazu, wo sie gerade beim Du angekommen sind!
    Frau Schicks Herz setzt kurz aus, ihre Kehle wird eng. Es ist kaum auszuhalten, wie schön und wie grausam zugleich das Leben und die Welt mitunter sein können.
    Ludwigs Heldentat hat ihn nach einer polizeilichen Überprüfung sämtlicher Personalien tatsächlich die Freiheit gekostet und zur sofortigen Vollstreckung eines gegen ihn vorliegenden Haftbefehls geführt. Wegen weiterer Flucht- und Verdunklungsgefahr. Da gab es kein Pardon, weil Engels sich bereits monatelang im Wald versteckt hatte. Wie einen Schwerverbrecher haben die Beamten Frau Schicks Lebensretter abgeführt.
    Die Luft unter der Decke wird knapp. Frau Schick fühlt sich wie ein Kanarienvogel im Bergwerkschacht, der weiß, dass er gleich ersticken wird. Rasch zieht sie die Decke vom Kopf, holt Luft, öffnet die Augen. Mit dem Zeigefinger streichelt sie ein Pfützchen Licht, das die Morgensonne auf ihr Kissen malt, als sei es Ludwigs Wange. Ist es aber nicht. Wie schrecklich, so allein und ganz verlassen dazuliegen.
    Schsschrrrrr, Pfff und Ratzepühhh, kommt es von links.
    Nun ja, fast allein.
    Neben ihr schnarcht unvermindert laut Walküre Pracht. Sie war partout nicht davon abzubringen, die Nacht mit ihr zu verbringen: »Falls Sie schlecht träumen oder einen weiteren Schwächeanfall haben. Der Professor hat mich gebeten, gut auf Sie aufzupassen.«
    Fürsorglich bis zuletzt, denkt Frau Schick traurig. Der Professor mag in den Augen des Gesetzes zwar kriminell sein, aber vor allem ist er ein Lebensretter und Gentleman! Seine Verbrechen fallen ihrer Ansicht nach eindeutig unter Kavaliersdelikte. Ludwig hat schließlich niemanden ermordet, außer …
    Die Hummeln heben zu einem weiteren Rundflug ab. Sie tastet nach ihrer Brille, die sie neben einem Glas Blumenwasser von Frau Pracht und dem Wecker abgelegt hat. Himmel, schon halb acht! Jetzt aber raus aus den Federn. Hummelflink wie die Geigen schwingt sie die Beine über die Bettkante. Sie hat heute und in den kommenden Tagen schließlich allerhand zu erledigen. Nellys Hilfe wäre ihr dabei weit willkommener als die von Schnarchliese Pracht, aber Nelly muss Niklas verstecken. Das vor allem. Glücklicherweise scheint es so, als habe sie auf ihrer gestrigen Wanderung genau den richtigen Ort gefunden, um den kleinen Ausreißer so lange unsichtbar zu machen, bis eine Lösung für das dringlichste Problem von allen gefunden ist. Der Professor hatte gestern nämlich ganz recht: Die Hauptsorge muss seinem Enkel gelten.
    So was aber auch! Da will man ihrem armen Ludwig einfach den Enkel wegnehmen und den Kleinen in eine Pflegefamilie stecken, nur weil sein Opa eine lächerliche Haftstrafe abzubüßen hat. Und was für eine lächerliche! Darüber darf sie jetzt gar nicht nachdenken, sonst platzt sie vor Zorn. Ludwig, dieser Sturkopf, übertreibt es mit seinem Hang zur Fürsorgepflicht gelegentlich gewaltig!
    Nun, ihre Anwälte sind bereits informiert und arbeiten mit Hochdruck und gegen astronomische Honorarversprechen an einem Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens und Haftaufhebung, aber bis der durch ist, ist Ludwig leider im Gefängnis.
    Frau Schick verbietet ihrer regen Fantasie, sich Bilder von einem bis auf die Knochen abgemagerten
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