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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau
Autoren: Christoph Hein
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eines Verwandten nennen?«
    »So ist es. Was ist mit Paula? Ist Paula Trousseau irgendetwas zugestoßen?«
    »Dann danke ich für Ihre Mühe. Und entschuldigen Sie bitte die Störung. Einen guten Abend.«
    Sebastian Gliese sah überrascht auf den Hörer.
    »So ein Idiot«, sagte er, »so ein ungehobelter Patron.«
    In den nächsten Tagen schrieb er einem Freund, der Paula auch kannte. Er berichtete von dem seltsamen Anruf des französischen Polizisten und fragte, ob er etwas über Paula wisse. Und er telefonierte mit zwei ihrer Kollegen, die er vor Jahren bei ihr kennengelernt hatte, aber keiner von ihnen konnte genauere Auskünfte geben. Paula musste sich vor vier Jahren von allen Freunden ohne Lebewohl verabschiedet haben.
    Einer vermutete, Paula habe Drogenprobleme. Er habe so was gehört, erklärte er, als Sebastian Gliese nachfragte.
    »Sind Sie mit ihr verwandt oder irgendwie verbandelt?«
    »Nein. Die Polizei hat sich bei mir nach ihr erkundigt.«
    »Die Polizei? Sie wird doch nichts ausgefressen haben, die hübsche Paula.«
    »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Ich weiß nicht, wie Sie zu ihr stehen, aber als Malerin, da taugt das Mädchen nichts. Ich habe ihr gesagt, Mensch, Mädel, so wie du ausschaust, da musst du doch deine Zeit nicht mit Malen verplempern. Such dir einen Kerl, der Moos hat, und genieße das Leben. Du zerquälst dich doch nur auf der Leinwand. Das ist Tristesse mit Trauerrand, was du da pinselst. Wer soll das kaufen? Oder hast du einen Großauftrag vom Beerdigungsinstitut? Die schöne Paula weiß überhaupt nicht, dass es auch freundliche Farben gibt, ein leuchtendes Gelb, ein Karminrot. Bei ihr istTerrakotta schon der Gipfel der Lebenslust. Bei ihr gibt es nur Schwarz und Grau, und Grau und Schwarz. Depressionen auf die Leinwand pinseln, das ist das Letzte, was der Markt braucht. Oder lieben Sie solche Bilder?«
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Sag ich doch. Aber sie greift immer nur nach der größten Tube Schwarz und drückt sie voll auf die Leinwand. Wenn ich das sehe, tut mir die schöne Grundierung leid.«
    »Danke für Ihre Auskunft. Und entschuldigen Sie die Störung.«
    »Keine Ursache. Wenn Sie mal ein wundervolles Bild kaufen wollen, kommen Sie bei mir vorbei. Ich zeige Ihnen einige Stücke, die sind pure Kapitalanlage, Meister. Mein Atelier ist in der Parkstraße, und Besucher sind allzeit willkommen. Einen Wein gibt es auch, selbst wenn Sie nichts kaufen.«
    Mitte November, ein halbes Jahr nach dem Anruf der Gendarmerie von Vendôme, meldete sich Michael Trousseau. Er sagte am Telefon, dass er ein paar Sachen seiner Mutter habe, die sie testamentarisch Sebastian Gliese zugedacht habe und die er vorbeibringen wolle.
    »Kommen Sie, wann immer Sie wollen«, sagte Gliese.
    »Heute Nachmittag? Gegen fünf?«
    »Einverstanden. Ich erwarte Sie.«
    Michael Trousseau war ein hochgewachsener junger Mann mit strubbligen blonden Haaren. Er musste Mitte zwanzig sein und wirkte verlegen, als Sebastian ihn ins Wohnzimmer bat und fragte, ob er etwas zu trinken wünsche.
    »Bitte machen Sie sich keine Umstände«, sagte der junge Mann.
    »Ich mache mir keine Umstände, Michael. Ich darf Sie doch so nennen? Wir kennen uns zwar kaum, aber ichwar mit Ihrer Mutter befreundet. Sehr gut befreundet, denke ich. Also, was kann ich Ihnen bringen? Kaffee, Tee, Wasser, Saft?«
    »Am liebsten grünen Tee, wenn Sie so etwas haben.«
    »Grünen Tee? Natürlich. Davon trinke ich jeden Tag einen Liter.«
    Michael Trousseau erzählte, dass die französische Gendarmerie ihn erst vor einem Monat erreicht habe, da er sein Studium für ein Semester unterbrochen hatte, um mit seiner Frau einen Trip durch Südamerika zu machen. Nach der Rückkehr fand er in seiner Wohnung drei Briefe und ein Telegramm der Gendarmerie Vendôme, man bat ihn, sich umgehend mit ihnen in Verbindung zu setzen. Der erste Anruf misslang, da er kein Französisch sprach, aber er hatte begriffen, dass seiner Mutter etwas Schreckliches zugestoßen sein musste. Er habe den Hörer aufgelegt und sei zu einer Kommilitonin gegangen, die ein Jahr in Paris studiert hatte. Dank ihrer Hilfe konnte er sich mit der Polizei in Vendôme verständigen. Seine Mutter war Ende Juni von Bauern in einem verkrauteten Nebenarm der Loire gefunden worden. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits vier Wochen tot. Dieser Nebenarm sei ein fast stehendes Gewässer, kaum tiefer als einen Meter, es sei unzweifelhaft festgestellt worden, dass seine Mutter keinem
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