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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau
Autoren: Christoph Hein
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seinem festen Griff und sagte leise: »Nein.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ich fahre am Achtzehnten zur Prüfung. Diese Chance lass ich mir nicht nehmen. Von keinem.«
    »Und Hans? Was sagt er dazu?«, erkundigte sich Mutter.
    »Was soll er schon sagen?«, antwortete der Vater, »er muss sich ja lächerlich gemacht vorkommen. Seine dusslige Braut sagt ihm einen Monat vor der Hochzeit, dass sie etwas Wichtigeres an diesem Tag zu tun hat. Etwas Wichtigeres als eine Hochzeit gibt’s für ein Mädchen gar nicht. Und schon gar nicht für eine dumme Gans, die heilfroh sein sollte, unter die Haube zu kommen. Und das alles wegen einer Prüfung! Deine dämliche Tochter glaubt plötzlich, sie sei eine Künstlerin, nur weil sie in der Kunsterziehung nicht so schlechte Noten bekam wie in allen anderen Fächern. Hans könnte jedes Mädchen kriegen. Jedes! So einen hätte ich mir als Sohn gewünscht, einen handfesten Kerl. Und der will ganz bestimmt keine Künstlerin als Frau! Am besten, du fährst jetzt zu ihm, entschuldigst dich und sagst, dass du statt der Kunsthochschule einen Kochkurs besuchst. Den brauchst du dringender. Außerdem würde dich die Kunsthochschule in Berlin gar nicht aufnehmen. Die lachen sich tot, wenn sie deine Zeichnungen sehen. Komm endlich zur Vernunft, Paula. Ich meine es nur gut mit dir.«
    Vater packte mit einer Hand meine Schulter und sah mir so lange in die Augen, bis ich wieder auf meine Schuhe schaute.
    »Bitte, Paula«, mischte sich Mutter weinerlich ein, »bitte, denk einmal an dich, Kind. Verbaue dir nicht deine Zukunft. Was sagt denn Hans dazu?«
    Ich schwieg, es hatte keinen Zweck, noch etwas zusagen. Vater fasste mich nun mit beiden Händen an den Schultern und schüttelte mich.
    »Du brauchst gar nicht zu antworten. Dein Schweigen sagt uns alles. Ich wäre nicht verwundert, wenn er die Hochzeit platzen lässt und sich ein vernünftiges Mädchen sucht.«
    Er schnaufte wütend, ließ mich los und sah fassungslos zu Mutter. Da ich nichts sagte und Mutter nur ihr Taschentuch knetete, schüttelte er den Kopf, stapfte aus dem Zimmer und schlug die Tür krachend hinter sich zu. Wir schreckten zusammen.
    »Was sagt denn Hans?«, fragte Mutter leise.
    »Er versteht es«, sagte ich und fügte rasch hinzu: »Oder er wird es verstehen, wenn er mich wirklich liebt, wie er behauptet.«
    »Mädchen, Mädchen, mach keinen Fehler. Du darfst ihn nicht so verärgern, das wird er dir dein Leben lang übelnehmen. Männer sind so. Und alles wegen einer dummen Prüfung. Im Leben bekommt man keine zweite Chance. Und kein Mann ist so geduldig, wie du glaubst, auch wenn er dich liebt.«
    »Ich will aber studieren.«
    »Das kannst du später immer noch, das läuft dir doch nicht weg. Heirate und mach deine Lehre zu Ende, dann hast du ein paar Sicherheiten. Danach kannst du dann machen, was immer du möchtest.«
    »Die Aufnahmeprüfung ist meine große Chance, meine allergrößte. Das Malen ist für mich das Wichtigste, viel wichtiger als Heirat und Liebe. Ich sterbe, wenn ich nicht malen kann.«
    »Mädchen, um Himmels willen, versündige dich nicht. Etwas Wichtigeres als die Ehe gibt es überhaupt nicht. Ehe und Kinder, Paula, nur das zählt.«
    Besorgt streichelte sie mir die Wange, die weitaufgerissenen Augen baten verschüchtert um Zuneigung und Liebe, um einen einzigen freundlichen Blick, doch ich stand vor ihr, die Lippen zusammengepresst und starrte zum Fenster hinaus.
    »Du musst Vater verstehen«, begann sie wieder, »er meint es nicht so, er macht sich Sorgen. Und es ist ein Fehler, Paula, ein schwerer Fehler. Ich war so glücklich über dich und Hans, ich dachte, nun hat das Mädel endlich das bekommen, was es verdient hat, das wird eine gute Ehe werden, sagte ich zu mir, wenigstens um die Paula muss ich mich nicht mehr sorgen. Sag doch etwas.«
    »Ich muss los, Mutter. Ich muss nach Leipzig zurück.«
    »Du kannst doch nicht einfach zurückfahren, ohne dass wir das geregelt haben.«
    »Es ist alles geregelt.«
    »Und Hans?«
    »Das geht in Ordnung. Er wird es verstehen.«
    »Und wenn er das nicht tut? Was machst du dann, Paula?«
    »Dann ist das sein Problem«, erwiderte ich. Ich ging zum Stuhl, über dem mein Mantel lag, nahm ihn hoch, zog ihn an und griff dann meine Tasche.
    »Grüße Vater von mir.«
    Ich ging zwei Schritte auf Mutter zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Gemeinsam gingen wir in den Hausflur. Aus dem Arbeitszimmer hörten wir die Stimme von Vater, er schimpfte vor sich hin. Wir
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