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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau
Autoren: Christoph Hein
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Plexiglaswänden, der die Küche beherrschte und unwohnlich machte, war der einzige Luxus ihrer Wohnung. Die Möblierung des Wohnzimmers war bunt zusammengewürfelt. Eine riesige, uralte Musiktruhe mit Plattenspieler nahm eine ganze Wand ein. Eine breite Klappliege ragte quer durch das Zimmer. An den Fenstern waren Papierrollos angebracht.
    Die Freundin zeigte mir, wo ich meine Sachen unterbringen konnte, wies dann auf die Liege und sagte, wir müssten beide zusammen übernachten, eine zweite Schlafmöglichkeit habe sie nicht. Sie könnte eine Luftmatratze aus dem Keller holen, aber das wäre keinesfalls bequemer und eine Nacht würden wir es wohl aushalten. Dann sollte ich ihr die Bilder zeigen, die ich mitgebracht hatte. Ein halbes Jahr zuvor hatte ich meine Arbeiten für die Prüfung in der Kunsthochschule einreichen müssen, die in den letzten Monaten entstandenen Blätter hatte ich nur mitgenommen, um sie vorzeigen zu können, falls man noch mehr von mir sehen wollte. Kathis Bitte machte mich verlegen, aber dann legte ich die Mappe auf die Liege und öffnete sie. Es waren zwanzig Blätter, sieben Aquarelle, zweiTuschzeichnungen, vier Radierungen, der Rest großformatige Zeichnungen. Anfangs erzählte ich zu jedem Blatt etwas, aber da Katharina nichts erwiderte und mit großen Augen meine Arbeiten betrachtete, verstummte ich und wartete ängstlich auf ihre Reaktion. Nachdem sie langsam Blatt für Blatt umgewendet und alle angesehen hatte, schaute sie mich an und verzog verlegen das Gesicht.
    »Na ja«, meinte ich, da Katharina noch immer nichts sagte, »das ist halt das Beste, was ich gemacht habe.«
    »Die hast du ganz allein gemacht?«
    »Natürlich. Dachtest du, mir hilft einer dabei?«
    »Ich habe keine Ahnung, Paula. Ich bin völlig unbegabt. Manchmal gehe ich auf die Museumsinsel und schaue mir dort die Bilder an. Ich verstehe nicht viel davon, aber sie gefallen mir. Ich setze mich dann auf eine Bank und sehe mir eine Ewigkeit lang ein einziges Bild an. Aber selber malen, das kann ich leider nicht.«
    »Du hast es doch nie probiert, Kathi.«
    »Habe ich aber. Ich habe mir sogar einen Kasten mit Ölfarben gekauft. Im Künstlerbedarf gab es so einen Anfängerkasten, einen für Kinder, mit allem drin, was dazugehört. Dann habe ich mir Stullenbretter gekauft, die größten, die ich bekam, und habe losgelegt. Na, losgelegt ist nicht das richtige Wort. Ich habe mit Gelb angefangen, habe etwas aus der Tube gedrückt, den Pinsel eingetaucht, und dann war Schluss. Eine halbe Stunde habe ich vor dem Stullenbrett gesessen, bevor ich den ersten Strich wagte. Ich hatte richtig Angst davor.«
    Ich lachte auf. »Das kenne ich, Kathi. Der allererste Strich ist unheimlich schwer.«
    Katharina schaute noch immer auf die aufgeklappte Mappe und das oben liegende Aquarell, eine Waldwiese mit einer leeren Parkbank und einer langgestreckten Siedlung am Bildrand.
    »Wie gefallen sie dir denn? Du hast noch gar nichts gesagt.«
    »Ich bin völlig überrascht, Paula. Ich hatte keine Ahnung, dass du eine Künstlerin bist.«
    »Bin ich nicht. Aber ich will es lernen. Darum will ich doch auf die Schule.«
    »Die nehmen dich bestimmt. So, wie du malst, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig. Die werden Augen machen, wenn du deine Mappe vorlegst.«
    »Ach, Kathi, die Professoren werden über meine Arbeiten vielleicht die Nase rümpfen. Und außerdem weiß ich nicht, wie die anderen Bewerber sind. Da kommen lauter Leute, die malen können, einige von denen haben sicher schon eine richtige Ausbildung gehabt, an der Abendschule oder in einem Malzirkel. Mit denen kann ich nicht mithalten, ich habe nicht einmal Abitur, für die bin ich eine Tussi aus der Provinz.«
    »Wenn sie dich nicht nehmen, dann nehmen sie keinen. Du bist eine Künstlerin, Paula. Du steckst die alle in die Tasche, Frau Picasso.«
    Ich klappte die Mappe zu und knüpfte sorgsam die Schleifen an den drei Seiten. Ich war erleichtert.
    »Und wann heiratest du? Du hattest mir doch geschrieben, dass du bald heiraten willst.«
    »Morgen«, sagte ich. Ich bemühte mich, ernst zu bleiben, aber eine Sekunde später schüttete ich mich aus vor Lachen. Katharina sah mich verständnislos an, dann lachte auch sie. Ich packte meine Reisetasche aus, hängte das Kostüm für den nächsten Tag auf einen Bügel und fragte, ob wir zu Hause essen oder ausgehen wollen, ich hätte etwas Geld eingesteckt und könne sie einladen. Katharina sagte, sie habe für Abendbrot und Frühstück
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