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Franzosenliebchen

Franzosenliebchen

Titel: Franzosenliebchen
Autoren: Jan Zweyer
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Stück der
Arbeitsplatte gerade so weit auf, dass es mit den Fingerspitzen zu
greifen war.
    »Ein
Geheimfach«, erklärte Saborski. »So etwas wurde
früher häufig in Schreibtische oder auch Schränke
eingebaut.« Er hob den Deckel etwas weiter an. »Sehen
Sie hier.«
    Goldstein bemerkte
unter dem aufgeklappten Holzplättchen eine kleine Feder und
einen winzigen Haken.
    »Der Deckel ist
millimetergenau eingepasst«, erklärte Saborski.
»Sein Intarsienmuster unterscheidet sich in nichts von dem
der restlichen Arbeitsplatte. Der kleine Spalt zwischen den
verschiedenen Holzplättchen fällt optisch deshalb nicht
auf, weil die Farben zu verschieden sind. Ihr Augenmerk wird auf
das Holz, nicht auf den Spalt dazwischen gelenkt. Weiter hinten ist
ein Scharnier angebracht, das den Deckel schwenkbar macht. Der
Haken hier greift in eine bewegliche Nut, die mit dem Eisenbolzen,
den Sie ertastet haben, zur Seite gedrückt wird. So wird die
Verriegelung frei und die Feder bewirkt, dass der Deckel ein wenig
nach oben springt. Vermutlich ist das Fach schon häufig
geöffnet und geschlossen worden. Es schließt nicht mehr
völlig plan. Als ich mit den Fingern über die Platte
gefahren bin, habe ich die leichte Unebenheit gefühlt. So,
dann wollen wir schauen, was Wiedemann so Wichtiges in seinem
Geheimfach versteckt.«
    Saborski klappte den
Deckel vollständig auf, griff in das Fach und hielt Goldstein
ein kleines Kästchen entgegen. »Möchten
Sie?«, fragte er.
    Goldstein griff zu. Er
öffnete das Behältnis und verspürte ein
Triumphgefühl. Auf einem kleinen Stoffkissen lag eine
Goldkette mit einem Medaillon. Und das Bild, welches sich im Inneren des
Anhängers befand, zeigte Erna und Hermann
Treppmann.
    Wilfried Saborski zog
nun einen Stapel grauer, nicht beschrifteter Briefumschläge
aus dem Geheimfach. »Das ist alles.«
    Goldstein verstaute
das Kettchen wieder und nahm einen der Briefe. Die Umschläge
waren innen mit rotem Seidenpapier gefüttert. Er zog das
zusammengefaltete Stück Papier heraus.
    Liebste Agnes, stand
da unter den Datum des 23. Oktober 1922. Das heutige Gespräch
mit deinen Eltern hat mich nicht entmutigt, im Gegenteil. Ich habe
den Worten deines Vaters entnommen, dass er dir die Entscheidung
überlässt, mit wem du in den Stand der Ehe treten willst.
Das begrüße ich. Denn ich bin sicher, dass du schon
recht bald erkennen wirst, wer es gut mit dir meint. Ich werde dich
immer auf Händen tragen, da kannst du gewiss sein. Ich werde
dich lieben und verehren und…  
    In diesem Stil ging es
über zwei Seiten weiter. Unterschrieben war der Brief mit
Ewald.
    Ein anderes Schreiben
von identischer Handschrift datierte vom 22. Januar 1923. Liebste
Agnes, obwohl es mir schwerfällt, werde ich dir noch einmal
verzeihen. Ein deutsches Mädchen lässt sich nicht mit den
Feinden unseres Volkes ein! Das solltest du wissen. Ich habe dich
schon gestern beobachtet, wie du mit diesem französischen
Soldaten herumpoussiert hast. Das geht so nicht! Du machst dem
Namen deiner Eltern Schande, aber auch mir, wo wir doch versprochen
sind. Ich möchte nicht durch dein unschickliches Verhalten
gezwungen werden, dich bestrafen zu müssen. Du weißt,
dass ich dich inniglich liebe. Gerade darum muss ich dich ja vor
dir selbst beschützen.
    Goldstein griff zu
einem anderen Brief, der am 25. Januar, also einen Tag vor dem Mord
verfasst worden war. Er überflog die ersten Zeilen, die von
belanglosem Inhalt waren. Dann aber wurde es interessant: Schon
wieder hast du dich mit diesem Franzosen getroffen, ihn sogar
geküsst! Ich habe euch beobachtet. Du dachtest wohl, mich
täuschen zu können. Aber da hast du dich geirrt. Du hast
mein Vertrauen und meine Zuneigung auf das Übelste
missbraucht. In diesen harten Zeiten! Ehebruch ist ein schweres
Verbrechen. Du hast Schande und Schuld auf dich geladen, auch wenn
wir vor dem Gesetz noch nicht verheiratet sind. Aber vor Gott, er
ist mein Zeuge, sind wir es. Die Ehe ist heilig. Und deshalb bist
du schuldig. Schuldig! Das letzte Wort war mehrmals
unterstrichen.
    Saborski hielt einen
anderen Brief in der Hand. »Das sollten Sie sich
anschauen«, sagte er und streckte Goldstein das Blatt
entgegen. »Der ist vom 27. Januar«, sagte er.
»Einen Tag nach Agnes’ Ermordung.«
    Der Text umfasste nur
wenige Worte: Ich musste es tun. Für unsere Liebe. Ich musste
sie strafen für das Unrecht, das sie begangen hat. Kein
anderer Mann wird sie je wieder berühren. Gott wird meine
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