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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Autoren: Unbekannter Autor
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ich den Widerhall hören konnte.
    Der Lärm um mich herum entfaltete sich allmählich in verständliche Worte. Ich hörte eine Frau. »Du sollst sie doch vorsichtig absetzen!«, schrie sie ihn an. »Sie ist kein Fisch!«
    »Ich war vorsichtig«, verteidigte er sich.
    »Hoffentlich hast du sie nicht umgebracht, das würde alles nur noch schlimmer machen!«
    Er brummelte etwas, doch was genau, konnte ich unter meinen Kopfschmerzen nicht verstehen. Sie jagte ihn hinaus und beschimpfte ihn als Tölpel und Affen. Kühle Hände tasteten mich ab. »Meeresherrin, er wird bestraft werden. Er ist nur ein Seemann; seine Eltern waren Seeigel! Bitte mach uns keine Vorwürfe.«
    Ein Kissen wurde unter meinen Kopf geschoben - das tat weh. Das Haar wurde mir aus den Augen gekämmt - auch das tat weh. Meine Fesseln wurden durchgeschnitten, sodass das Blut in meine Glieder zurückströmte und auch sie wehtaten. Gesicht und Schulter wurden gewaschen und mit einer Salbe beschmiert - was wehtat. Ich merkte, wie sich Tränen unter meinen Wimpern hervorquetschten.
    Stille senkte sich herab, gesegneter Friede. Nachdem das Pochen in meinem Körper abgeflaut war, klappte ich vorsichtig ein Lid hoch.
    Heilige Isis, ging das schon wieder los?
    Ich wollte doch nur eines - Cheftu finden und mit ihm zusammen sein. Stattdessen war ich in einem Tempel gelandet, wie ich ihn nie zuvor gesehen hatte, der sich jedoch durch seinen Geruch, seine Anlage und ... die sieben Meter hohe Statue eines Meeresgottes auszeichnete, vor deren, äh, Schwanz man Essen, Gold und Juwelen ausgestreut hatte.
    Dies war kein ägyptisches Kunstwerk. Und auch kein aztlan-tisches. Und es war weder griechisch noch römisch. Um mich herum erhoben sich Säulen, die eine nur etwa zwei Meter hohe Wand stützten. Die Luft war von Räucherwerk gesättigt und stank wie die Pest nach . Koriander? Verbranntem Koriander? Der scharfe Geruch ließ meine Kindheit in Marokko wieder wach werden. Ganz eindeutig Koriander.
    Die Farben entsprachen den Tönen des Meeres und des Himmels, Blau und Grün, die wie Wasserfarben ineinander verliefen. Ein Flechtmuster zog sich um die Säulen herum und setzte die Decke ab. Der Boden bestand aus einem Mosaik von Muscheln und farbigem Sand. Der Raum wirkte ausgesprochen hübsch, sehr friedlich und beruhigend.
    Wo befand sich dieser Tempel? Mein Kopf pochte immer noch, doch die Übelkeit hatte sich gelegt. Ich lag auf dem Rük-ken, und zwar oberhalb einiger Stufen. Links von mir stand das Götzenbild.
    Es war aus einem einzigen Marmorstück geschnitten. Allerdings war es auf Bauchhöhe und an beiden Armen mindestens dreimal gebrochen. Stein muss sehr teuer sein, dachte ich, während ich den Götzen betrachtete. Wieso hätten sie sonst ein derart fehlerhaftes Stück genommen? Er war ziemlich schlicht und grob zurechtgehauen, durchaus als Meereskönig erkennbar, aber nichts, was die Kunstwelt in Aufruhr versetzen würde.
    In den Sockel der Statue hatte man Zeichen eingeschnitten. In einer untergegangenen Sprache. Im nächsten Moment bildeten sich die entenfußartigen Keilzeichen in Buchstaben um, die ich verstand. Dagon, Herr des Donners, König des Meeres, Herrscher über das Kornfeld, Vater Ba ’als, Geliebter Derka-tos.
    Dieser Meereskönig war also Dagon?
    Wie passte das damit zusammen, dass ich Cheftu wieder treffen würde? Wäre ich sonst hier, in meiner eigenen Haut, wenn meine Gebete nicht erhört worden wären? Ich hatte mich auf die Suche nach ihm gemacht. Statt ihn zu finden war ich jedoch aus dem Mittelmeer geangelt und in einem Tempel abgeladen worden. Vielleicht war Cheftu ja ein Fischer; oder ein Priester?
    Das wäre allerdings eigenartig. Cheftu war bisher immer Ägypter geblieben. Und er war jedes Mal aus Ägypten gekommen. Andererseits war ich bisher jedes Mal jemand anderes gewesen, und diesmal war ich ich selbst. Meine Erfahrungen - von denen ich zwei äußerst lebhafte und lebensverändernde gehabt hatte, bei denen ich in der Zeit zurückgereist und in die Geschichte eingetreten war - hatten mich gelehrt, dass ich jedes Mal in einer anderen Person, in ihrem Körper, ihrer Stimme, ihrem Leben landete; ich schlüpfte dabei in die Haut einer Frau aus dem Altertum wie in einen Mantel.
    Jetzt fühlte ich mich benommen, denn plötzlich war alles ganz neu - selbst die Regeln hatten sich geändert. Dennoch war ich trotz aller Unterschiede wieder durch die Zeit gereist. Ich sah auf das rote Haar, das über meine weiße Schulter fiel; diesmal hatte
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