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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Autoren: Unbekannter Autor
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ich keinen Mantel. Hallo?, fragte ich in mein widerhallendes Cranium hinein. Ist da jemand? Jubu!
    Würde Cheftu so aussehen wie immer? Bisher war es jedes Mal so gewesen. Diesmal wäre es an mir, ihn zu erkennen, denn in meinem Neuzeit-»Mantel« hatte er mich noch nie gesehen.
    »Meeresherrin Derkato , wünschst du eine Erfrischung?«
    Ich sah auf und erblickte ein junges Mädchen mit gesenktem Kopf, dessen Kleid mit Schuppen aus Stoff besetzt war. »Wasser«, antwortete ich, weil ich allem anderen misstraute. Ich glaubte nicht, dass man mich vergiften wollte, aber sicher war ich mir da nicht.
    Sie schaute zu mir auf, zog dann den Kopf ein und wich wieder zurück. Im Unterschied zu den Menschen in den beiden anderen Kulturen, in denen ich gelebt hatte und wo schwarze Haare und dunkle Augen die Norm gewesen waren, war dieses Mädchen honigfarben. Obwohl sie eher groß war, wirkte sie zugleich zierlich. Langes, gerades Haar, braun-golden wie ihre Augen, hing ihr in kunstvollen Zöpfen bis zur Taille herab. Sie glänzte wie blank poliertes Holz.
    »Bitte«, rief ich ihr nach. Ich dachte zwar »Bitte«, doch aus meinem Mund kam B’vakasha. Bedeutete das in dieser Sprache »Bitte«? Ich ließ mich auf den Mosaikboden sinken und starrte zur Decke hoch. Ein Flachdach mit Fensteröffnungen; wie schön, an einem Ort zu sein, wo mir wenigstens die Architektur bekannt vorkam.
    Ich war im Mittelmeerraum. In einem Tempel Dagons. Als Meerjungfrau/Göttin, der der Tod bestimmt war. Als ich die Hand hob, um mir die Haare hinter das Ohr zu schieben, sah ich das Neon auf meinem Arm. Ich glühte.
    Neon. Die Priesterin RaEmhetepet, die während der vergangenen zwei Jahre in meinem Körper gelebt hatte, war im Jahr 1996 in ihrer gewohnt vulgären Aufmachung - die ich nun am Leib trug - auf ihrem Weg zu einem Ramadan-Weihnachtsfest gewesen, als sie durch das Portal getreten und in die Vergangenheit gesogen worden war. Oder so ähnlich, vermutete ich. RaEm hatte in der Neuzeit für Neonfarben und elektrischen Strom und Glitzerkram geschwärmt, weshalb ich nun glühte wie eine Außerirdische aus einem Billigfilm.
    »Meeresherrin, dein Wasser.« Das Mädchen glitt heran, stellte eine Muschel gefährlich schief auf dem Boden ab und zog sich mit aufmerksamer Miene zurück. Erwartete sie, dass ich das Wasser aufleckte? Dass ich die Muschel an meine Lippen setzte und leerte?
    Es handelte sich hierbei um eine Frage der Etikette. Ich hätte gut eine »andere« gebrauchen können.
    Bei meinen beiden vorangegangenen Zeitreisen war ich jedes Mal in den Körper einer Frau aus der entsprechenden Epoche getreten und hatte dadurch Zugriff auf ihr kulturelles Wissen, die Sprache und einige Erinnerungen gehabt.
    Diese Verbindung zwischen dem Geist der eigentlichen Körperinhaberin und meinem eigenen hatte ich »die andere« genannt. Jetzt war ich anderslos.
    Ich war auf mich selbst gestellt. Was bedeutete das?
    Wenn du nicht mehr weiter weißt, dann spiel ihnen was vor, Chloe.
    Ich hob die Muschel an, um daraus zu trinken.
    Stattdessen spuckte ich aus. Salzwasser? »Frisches Wasser«, stellte ich klar, nachdem ich meinen Mund mit dem Handrük-ken abgewischt hatte.
    »Meeresherrin, vergib mir!«, heulte das Mädchen auf, wobei es auf die Knie fiel und sich auf die Brust schlug. »Zeige Nachsicht! Bitte verfluche uns nicht! Ich dachte, du brauchst Salzwasser! Bitte lass deinen Zorn an mir aus, doch verschone mein Volk!«
    Ihre Wimpern waren etwa einen halben Meter lang und geschwungen. Ihr Gesicht war von einer babyhaften Unschuld, doch ihr Körper war schon beinahe der einer Frau. »Wer bist du?«, fragte ich.
    »Tamera ist der Name, den mir die Göttin gegeben hat.«
    »Welche Göttin?« Gab es mehr als eine?
    »Die große Göttin, Meeresherrin. Astarte.« Sie sah auf. »B’vakasha, verfluche uns nicht.« Sie sah so aus, als würde sie sich gleich wieder auf die Brust trommeln.
    Sie verfluchen? Wegen einer Muschel voll Salzwasser? »Ich, äh, ich will Milde zeigen«, sagte ich. Sie kroch auf dem Bauch zu mir her und küsste dabei den Mosaikboden zu meinen Füßen. Erst fesselten und knebelten sie mich, und jetzt hatten sie Angst, ich könnte sie wegen einer Muschel voll Salzwasser verfluchen? Was für eine Logik steckte dahinter? »Hol mir frisches Wasser«, sagte ich. »Und dann erzähl mir von deinem Volk, das du retten möchtest.« Ich gab mich herrisch, aber nicht unhöflich.
    Dank murmelnd, zog sie sich rückwärts zurück und lief schließlich
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