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Fossil

Fossil

Titel: Fossil
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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Deacon beugt sich herunter und hebt die Taschenlampe auf. Er schaltet sie ein, und die winzige Birne leuchtet schwach im Sonnenlicht.
    «Sie hat versucht hineinzukommen», sagt Chance. «Um Dancy zu suchen. O Gott, sie hat sie gerufen. Ich glaube, daran habe ich Schuld, Deacon.»
    «Wieso du? Hast du ihr etwa gesagt, dass sie das tun soll?»
    «Nein, aber sie hat mich nach der Figur gefragt…»
    «Blödsinn», sagt Deacon und macht die Taschenlampe wieder aus, wirft sie fort, mitten in ein paar Giftefeu- und Geißblattpflanzen, die in der Nähe des Blockhauses wachsen. «Sadie war kein kleines Kind mehr, Chance. Was auch immer sie hier wollte, es war allein ihre Entscheidung. Vergiss das also gleich wieder.»
    «Okay, du hast ja recht», sagt Chance, kann die Augen aber nicht von dem an die Wand gemalten Ding abwenden, während Deacon die Eisensäge am Vorhängeschloss ansetzt.
    Hinter dem Eingang zum Wasserwerkstunnel, wo sich im nur halbdunklen Vorraum des Blockhauses die beiden enormen Rohre nach unten beugen, um dann wie riesige Eisenwürmer im modrigen Erdreich zu verschwinden. Die Rohre sind so breit, dass man selbst einzeln kaum daran vorbeikommt. Chance geht voran mit ihrem geladenen Gewehr und dem Dynamit. Deacon ist direkt hinter ihr, hat in der einen Hand den Revolver und in der anderen die Taschenlampe. Mal gehen sie über rutschigen Stein auf ihrem Weg über den Tunnelboden oder versinken bis zu den Knöcheln im Matsch. Chance ist zweimal schon fast gestürzt.
    «Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, dass es hier so gestunken hat», sagt Deacon, und seine Stimme wirkt im Tunnel überlaut.
    Chance leuchtet mit ihrer eigenen Taschenlampe gegen die Decke, die ist so tief, dass Deacon sich die ganze Zeit ducken muss. Aus dem Kalkstein wachsen kleine Stalaktiten, unregelmäßige Tropfsteinzähne, die vom Grundwasser feucht sind und glänzen. Die Rohre darunter sind mit Travertin besetzt, Kalkspat, der Tropfen für Tropfen aus den Steinen oben geleckt ist und sich hier abgesetzt hat.
    «Du warst ziemlich weggetreten», sagt sie. «Waren wir alle.» Das war ja immer die Erklärung dafür gewesen, was mit ihnen in jener Nacht passiert ist, denkt Chance. Die paar Male, die Elise versucht hat, mit ihnen darüber zu reden, hat Deke immer gesagt: «Wir waren stoned.» Oder Chance sagte es für ihn.
    «Ich war gar nicht so stoned», sagt Deacon. «Es riecht, als wäre hier drinnen etwas gestorben.»
    «Das ist nur Schimmel und Fledermausdreck, das ganze stehende Wasser.» Das sagt sie, als wäre sie wirklich der Meinung, dass es im Tunnel deshalb nach verwesendem Fleisch stinkt wie im Beinhaus, dass ihr schlecht wird und die Augen tränen.
    «Ich sehe hier keine einzige verdammte Fledermaus», sagt Deacon.
    «Vertrau mir, die sind hier irgendwo, Deke. Wahrscheinlich gleich Hunderte.» Aber sie hat auch noch keine gesehen. Die kleinen braunen Fledermäuse sind sonst überall und haben ihre Kolonien in sämtlichen aufgegebenen Minenschächten und Höhlen. Aber vielleicht leben sie hier einfach nur tiefer im Tunnel, nicht so nah beim Eingang, weil der Lärm von der Straße und dem Park sie weiter hineintreibt als gewöhnlich.
    Chance kommt mit dem rechten Arm gegen die Wasserrohre, streicht damit über Eisen, das sich gleichzeitig staubig und feucht anfühlt. Sie zuckt erschreckt zurück, es ist etwas Ungesundes an dieser Gleichzeitigkeit von trocken und nass.
    «Wir müssten gleich da sein», sagt sie. «Es ist bestimmt nicht mehr weit.» Falls die Aufzeichnungen ihrer Großmutter stimmen, sind es nur dreihundertsechzig Meter von der Tür des Blockhauses gerechnet, nicht weit von dem Punkt, wo der ordovizische Kalkstein zum rotvioletten Sandstein und Schiefer der jüngeren Red-Mountain-Formation wird.
    Warum ist es mir dann vorher nicht aufgefallen? Weshalb habe ich die Steinmauer im April nicht bemerkt? Und auch hier passt natürlich wieder die beliebte Antwort, dass sie dafür zu high war, dass sie alle zu high waren. So high, dass sie sich in einem geraden Gang verirrt haben und stundenlang herumgeirrt sind, bis Deacon den Weg nach draußen wiedergefunden hat. Sie bleibt stehen und dreht sich nach Deacon um, will noch einmal einen Blick erhaschen auf ein bisschen Sonnenlicht, aber im Tunnel ist es dunkel wie in tiefster mondloser Nacht, deren Schwärze nicht einmal die Lichter der Stadt erhellen.
    «Es geht los», sagt sie, und jetzt dreht sich auch Deacon um und schaut zurück.
    «Wir müssen irgendwo um
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