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Fossil

Fossil

Titel: Fossil
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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Stacheln, den grotesk gedrehten Stacheln, die aus dem okzipitalen Ring wachsen wie kleine Hörner, leuchtende Farbsprenkel unter seinen Augen. Sie streckt die Hand aus, um ihn zu berühren, fasst über Epochen hinweg, zurück über all die Erdzeitalter, die sie Deacon in umgekehrter Reihenfolge aufgezählt hat. Aber die Mauer bröckelt nun, bebt und fällt auseinander, und der kleine Trilobit versinkt darin wie ein Kiesel in einem Fluss.
    «Deacon, hilf mir», sagt sie, begreift es zu spät, war entweder zu langsam oder zu dumm, um die Falle zu erkennen, bevor die Nummer fast durch ist. Die Mauer erbebt noch einmal und bricht dann zusammen, die losen Steine werden in eine Nacht gesaugt, die der Tunnel nur beneiden kann, eine Dunkelheit die schon vor der geringsten Ahnung von Licht existierte, dort drin wird das Universum erst in einer Stunde geboren werden. Chance schreit, als die Ewigkeit sie umströmt, Deacon drückt ab, und die Welt verschwindet wie ein Fleck.
     
     
    Es dämmert schon, als Chance von der Fourth Avenue auf den Parkplatz des Schoner Motels abbiegt. Das Ding muss schon vor dreißig Jahren eine Bruchbude gewesen sein, und jetzt ist es ein billiges Stundenhotel, eine Zuflucht für Crackhuren und Alkies, wenn sie zufällig Geld für ein Zimmer übrig haben. Warum jemand ein Motel am Rand von Birmingham ausgerechnet Schoner nennt, ist ihr wirklich unklar. Das dürfte wohl besser zu einem Motel in Panama City, an der Golfküste oder in irgendeinem Strandbad passen. Sie parkt den Impala zwischen einem Pick-up und einem langen schwarzen Monte Carlo, dessen fehlende Heckscheibe von einer Mülltüte ersetzt wird. Sie liest noch einmal die Nummer, die sie sich vor einer Viertelstunde auf einen Post-it geschrieben hat. Bevor sie aussteigt, überprüft sie, ob die anderen drei Wagentüren richtig verschlossen sind.
    Es ist das Ende eines stürmischen Apriltages, Tornados, und im Radio hat sie gehört, dass in Mississippi sieben Menschen getötet worden sind. Jetzt regnet es allerdings nur noch, und sie hat ihren Schirm vergessen, hat ihn im Garderobenständer bei der Tür stehenlassen, als sie das Haus verließ. «Geh bloß nicht ohne deinen Schirm los», hat ihr Großvater gesagt. «Mach ich nicht», hat sie ihm versprochen und den Schirm dann doch vergessen, ihr Kopf war einfach zu voll mit anderen Dingen. Jetzt zittert sie im kalten Sprühregen, während sie vom Parkplatz schnell hinüber zu den gelben Betonmauern geht und der trüben Reihe vollkommen gleicher schwarzer Türen. Noch mehr Autos und ein schmaler, verkümmerter Streifen totbraunes Gras, ein paar hoffnungsvolle Büschel Klee und Löwenzahn, bevor sie an der Tür ist.
    «Nummer sieben», sagt sie, aber das hier ist erst Nummer fünf, die Zimmernummer ist direkt vor Chance’ Augen auf die Tür gemalt, also geht sie noch weiter bis zur sieben und klopft. Als niemand öffnet, klopft sie erneut, heftiger.
    «Komm schon,Elise, mir wird langsam kalt hier draußen.»
    Aber nichts verrät, dass sich überhaupt jemand im Zimmer aufhält, abgesehen vom Lampenschein, der durch die Gardine dringt. Also drückt Chance die Klinke herunter, es ist nicht abgeschlossen. Sie öffnet die Tür und geht hinein, hinaus aus dem Wind.
    Drinnen stehen zwei Einzelbetten, die Tapete ist mit einem verblichenen Bambusmuster bedruckt und hat die schlammige Farbe von Erbsensuppe. Elise’ Handtasche liegt auf einem der beiden Betten. Chance macht die Tür hinter sich zu und schließt ab.
    «Elise? Wo zum Teufel steckst du?» Doch die einzige Antwort ist laufendes Wasser im Badezimmer. Dessen Tür steht weit offen, jeder hätte hier einfach hineinspazieren können, jeder, dem es gerade passte. Chance seufzt und schaut wieder aufs Bett, wo die vertraute perlenbestickte Handtasche liegt, deren gesamter Inhalt wurde herausgekramt, ein Durcheinander aus Autoschlüsseln, einer Packung Kaugummi, abgerissenen Kinokarten und Elise’ Adressbuch.
    «Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte», sagt sie. «Bist du da drin angezogen? Du hast ja nicht einmal die Tür abgeschlossen.» Chance geht am Bett vorbei zum Bad, wo Elise Alden nackt auf der Toilette sitzt. Die kleine Wanne läuft schon fast über, das dampfende Wasser reicht beinahe bis zum Rand, und Elise schaut aus geschwollenen roten Augen zu Chance auf, als ob sie hier schon seit Stunden sitzt und weint. Sie öffnet den Mund, will etwas sagen, schweigt dann aber doch, und Chance bemerkt die unentschlossenen Schnitte an ihrem
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