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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu
Autoren: Stephan Serin
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Werner-Heisenberg-Gymnasium
     verlassen musste. Erst recht, nachdem ich auf der Jungentoilette hatte lesen müssen:
Herr Serin + Frau Sohn = Gangbang
.
    |239| Raum 103, Mittwoch, 13.55   Uhr, 5.   Stunde, Französisch 11a
    Nedime: Monsieur Serin. Vous venez? 15
    Ich: Oui   … Tu as une question? 16
    Nedime: Sind Sie noch mit Ihrer Freundin zusammen?
    Ich: Was?! Äh   … ja!   … Pourquoi ? 17
    Nedime: Schade!
    Ich: Äh   … Alors   … äh   … concentre-toi maintenant sur ton examen! 18

|241| 39
Ich bin gekommen, um euch zu sagen, dass ich gehen muss
    «Können wir heute ein Spiel spielen?»
    «En français, Ahmet ! Même si c’est notre dernière fois.»
    «Nous jouez?»
    «Nous jou   …?»
    «Nous jouons?»
    «Non , aujourd’hui , on va travailler avec une chanson.»
19
    Diese Eingangsfrage von Ahmet war ich gewohnt. Meine Schüler versuchten es bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Diesmal war
     der Wunsch sogar für mich nachvollziehbar, denn es handelte sich um unsere letzte gemeinsame Doppelstunde. Aber so klassisch,
     mit einem Spiel, wollte ich mich von meinen Schülern nicht verabschieden. Dazu bedeutete mir die 11a zu viel. Ohne ihre naiv-ehrliche
     Begeisterungsfähigkeit und Zuneigung hätte ich während des Referendariats noch weniger Lichtblicke gehabt. Mein Lebewohl an
     die Schüler war das Lied «Je suis venu te dire que je m’en vais» 20 von Serge Gainsbourg. Heute endlich würden die Jugendlichen einen anderen Herrn Serin kennenlernen. In den beiden Jahren, in denen ich sie unterrichtete, hatte ich den
     Ratschlag meiner Seminarleiterin für Französisch beherzigt und die Schüler bei ihren Interessen abgeholt. Ich hatte sie nicht
     mit dem lebensweltfremden Lehrbuch
A Plus
genervt, obwohl mich |242| Frau Reiz wiederholt dazu aufgefordert hatte. Stattdessen hatte ich die Schüler eine Geschichte über eine Teenagerin lesen
     lassen, die am französischen Pendant zu
Deutschland sucht den Superstar
teilnahm. Um der Lektüre noch mehr Realismus zu verleihen, hatte ich die letzten Kapitel sogar umgeschrieben. Das Mädchen
     stieg am Ende nicht gereift aus der Castingshow aus, sondern gewann diese. Nachdem ihre zweite Single nicht auf Platz eins,
     sondern nur auf Platz zwei der Charts landete, wurde ihr Vertrag von der Plattenfirma gekündigt. Statt in großen Stadien spielte
     das Mädchen fortan auf Autohauseröffnungen. Vereinsamt, da sie den Kontakt zu allen Familienangehörigen und alten Freunden
     abgebrochen hatte und von den neuen wegen Erfolglosigkeit fallen gelassen wurde, versank sie schließlich in einem Sumpf aus
     Drogen und Prostitution.
    Darüber hinaus hatte ich mit den Schülern von dem französischen Zeichner Riad Sattouf
Retour au collège
21 durchgenommen, einen Comic über ein Pariser Gymnasium. Um ihnen zu zeigen, dass der französische Schüleralltag sich von dem ihren nicht grundlegend
     unterschied. Und damit sie lernten, dass in Frankreich die Schüler nicht alle so redeten wie Marc, Pierre, Aurelie und Nathalie
     aus dem Lehrbuch, sondern wie Jugendliche. Der Comic enthielt auch unzählige Wendungen aus der Umgangs- und Jugendsprache
     sowie dem Vulgärfranzösischen. Die Schüler anderer Französischlehrer konnten nicht von sich behaupten, für die Begriffe
Joint
,
homosexuell
und
Penis
jeweils bis zu fünf Synonyme zu beherrschen. Ich hatte sogar einmal einen Vokabeltest zum Wortfeld Sex schreiben lassen. Allerdings
     darauf verzichtet, von den Schülern eine Unterschrift der Eltern für die Note zu verlangen.
    Und natürlich hatte ich wiederholt mit Musik gearbeitet. |243| Während meine Kollegen den Jugendlichen mit Alain Souchon, Francis Cabrel und, wenn sie sich dynamischer präsentieren wollten,
     mit Louise Attaque kamen und so wahrscheinlich dem Vorurteil der deutschen Schüler, dass französische Musik irgendwie schwul
     war, erst recht Zunder gaben, hatte ich mich – zur Freude von Frau Lau und zum Ärger von Herrn Schubert – bemüht, Songs auszuwählen,
     in denen Probleme behandelt wurden, mit denen die Jungen und Mädchen selbst konfrontiert waren: Kopftuch, Rassismus, Gewalt
     und Perspektivlosigkeit, also Hip-Hop von NTM, Assassin, Disiz la Peste oder La Rumeur. Hauptsache, es gab kein Happy End.
    Und nun wollte ich mich mit Serge Gainsbourg verabschieden, von dessen Songs die meisten Französischlehrer wegen ihrer oftmals
     erotisch aufgeladenen Texte, wegen der provokativen Behandlung von Homosexualität, Inzest und Pädophilie
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