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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu
Autoren: Stephan Serin
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Post aus der Beuthstrasse
    Da stand es nun, Schwarz auf Weiß, ich war zum Referendariat in Berlin zugelassen. Eigentlich eine Neuigkeit, über die ich
     mich hätte freuen sollen. Andere Bewerber warteten schließlich drei Jahre auf einen Platz. Bei mir waren es nur zehn Monate
     gewesen. Aber schon spürte ich sie wieder, meine Ängste. War das wirklich der richtige Beruf für mich? War ich nicht viel
     zu unorganisiert, viel zu chaotisch, um die Arbeit eines Lehrers halbwegs zeitökonomisch zu bewältigen? Wie sollte ich es
     schaffen, mir all die Schülernamen zu merken, wenn ich mir schon sonst nicht den von Frau Schmidt und Herrn Müller merken
     konnte? Würde ich mich mit meiner Körpergröße gegen die Jugendlichen behaupten können? Konnte ich vor ihnen glaubwürdig als
     Lehrer auftreten, wenn ich schon per se alles, was ich tat, selbstironisch infrage stellte, um mich nicht angreifbar zu machen?
     Und vor allen Dingen: War das Referendariat wirklich so schrecklich, wie alle sagten? Würde ich das erste Mal an meine Grenzen
     stoßen, das Zweite Staatsexamen vielleicht nicht bestehen oder die Ausbildung gar mittendrin abbrechen? Oder übertrieben die
     von mir befragten Lehrer, die diese zwei Jahre als schlimmste Zeit in ihrem Leben ansahen, weil sie in ihnen trotz größter
     Bemühungen permanent immer nur negative Rückmeldungen erhalten hatten? Leider war das Schreiben der Senatsverwaltung nicht
     dazu angetan, meine Sorgen zu zerstreuen und mir Mut zu machen:
     
    |10| 6.   Juni 2007
     
    Sehr geehrter Herr Serin,
     
    ich freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass nach dem Ergebnis des Zulassungsverfahrens Ihre Einstellung in den Vorbereitungsdienst
     zum 22.   August 2007 mit der Fächerkombination Sozialkunde, Französisch erfolgen könnte. Informationen über die Zuweisung zum Schulpraktischen
     Seminar und zur Ausbildungsschule erhalten Sie drei Wochen vor Dienstantritt. Sehen Sie bitte von telefonischen Nachfragen
     bei uns ab.
    Voraussetzung für die Einstellung in den Vorbereitungsdienst ist Ihre gesundheitliche Eignung, nachzuweisen durch Vorlage
     eines amtsärztlichen Gutachtens. Die amtsärztliche Untersuchung habe ich beim zuständigen Gesundheitsamt angeordnet, welches
     Ihnen den Untersuchungstermin schriftlich mitteilt. Der Aufforderung zur Untersuchung ist unbedingt nachzukommen. Sollten
     Sie dieser Verpflichtung zuwiderhandeln, werden Sie vom Einstellungsverfahren ausgeschlossen.
    Beantragen Sie überdies unverzüglich bei der für Sie zuständigen Meldebehörde die Erteilung eines «Führungszeugnisses zur
     Vorlage bei einer Behörde» . (Belegart «0»). Die Gebühr für das Führungszeugnis haben Sie selbst zu tragen. Führungszeugnisse, die vor Mai 2007 ausgestellt
     wurden, werden von uns nicht akzeptiert. Sollte ich das Führungszeugnis bis zum 16.   Juli nicht erhalten haben, werden Sie vom Einstellungsverfahren ausgeschlossen.
    Schicken Sie mir ferner unverzüglich Ihre Lohnsteuerkarte für das Jahr 2007 und füllen Sie das beigefügte |11| Formblatt vollständig und mit Unterschrift aus. Beides muss bis zum 20.   Juni in unserer Behörde eingegangen sein. Maßgebend ist nicht der Poststempel.
    Sollten Sie allen Forderungen nachgekommen sein und sich aus der amtsärztlichen Untersuchung sowie dem Führungszeugnis keine
     Bedenken gegen Ihre Einstellung ergeben, würde ich Sie zum 22.   August in den Vorbereitungsdienst aufnehmen.
     
    Mit freundlichen Grüßen,
    Im Auftrag
    Schönemann
     
    Hatte vor dem Lesen des Briefes zumindest noch eine Restzuversicht in mir geschlummert, dass mit den zwei Jahren Referendariat
     nicht zwingend eine bittere Leidenszeit für mich anbrechen würde, so war diese Hoffnung nun endgültig ausgeräumt. Meine nächtliche
     Atemnot und Herzbeklemmung würden wohl noch zunehmen. Der ganze Tonfall erinnerte mich stark an die Schreiben vom Jobcenter
     Mitte, mit dem ich seit Ende meines Studiums im letzten Jahr konferierte, weil ich nicht sofort einen Referendariatsplatz
     ergattert und mich darum arbeitslos gemeldet hatte. Nur war es denen im Jobcenter immer um Abschreckung gegangen, darum, dass
     ich meinen Antrag auf Arbeitslosengeld II zurückzog. Verfolgte Frau Schönemann in der Senatsverwaltung – von einem ehemaligen
     Kommilitonen, der bereits Referendar war, wusste ich, dass es sich bei «Schönemann» um eine Frau handelte – mit ihrem Brief
     etwa das gleiche Ziel? Dieser vermittelte mir zumindest nicht den Eindruck, als
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