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Flut

Flut

Titel: Flut
Autoren: Daniel Galera
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anfangs taten sie, als würden sie einander nicht kennen, aus Rücksicht auf den Mann, der sich freute, sie miteinander bekanntmachen zu können. Doch dann machte der Kerl den Fehler, meinen Vater ganz direkt zu fragen, ob ihm die Musik gefallen habe, und wenn man deinen Großvater etwas fragte, bekam man eine ehrliche Antwort. Die wiederum gefiel dem anderen gar nicht. Es gab also Streit, und irgendwann meinte mein Vater zu dem Typen, er solle sich verziehen, er rieche aus dem Mund wie ein toter Pampasfuchs aus dem Arsch. Mehrere Leute lachten. Der Typ flippte natürlich aus, und im nächsten Moment hatte mein Vater sein Messer draußen. Der Sänger zog ab, und damit war die Sache beendet, aber ich erinnere mich an die Reaktion der Leute. Es war nicht nur Neugier, sie sahen deinen Großvater schräg von der Seite an, tuschelten und schüttelten den Kopf. Offenbar war er nicht mehr so beliebt wie bei meinem letzten Besuch. Na ja, niemand hat gern mit einem rüpelhaften Gaúcho zu tun, der meint, bei der erstbesten Gelegenheit sein Messer zücken zu müssen. Ich sagte zu ihm, er solle damit aufhören, aber dein Großvater kümmerte sich nicht darum, ihm war gar nicht bewusst, was er da tat. Die Leute hier haben Angst vor dir, sagte ich zu ihm, das ist nicht gut, du kriegst ernsthafte Probleme, wenn du so weitermachst. Dann fuhr ich wieder weg und hörte lange Zeit nichts mehr von ihm. Damals saß ich in Porto Alegre fest, ich arbeitete viel,und außerdem lernte ich deine Mutter kennen, wir waren vier Jahre zusammen, und sie hat mich drei Mal verlassen, bevor wir heirateten, jedenfalls hatte ich meinen Vater eine ganze Weile nicht besucht, als ich Monate später einen Anruf von einem Polizeikommissar aus Laguna bekam und erfuhr, dass man ihn umgebracht hatte. Es war eines dieser sonntäglichen Tanzfeste in irgend so einem Gemeindesaal, wo die ganze Stadt hinrennt. Als das Fest richtig in Gang ist, geht plötzlich das Licht aus. Und als es eine Minute später wieder angeht, liegt mitten im Saal ein Gaúcho mit zig Stichwunden in einer Blutlache. Alle haben ihn getötet, oder anders gesagt, niemand. Die Stadt hat ihn getötet. So hat der Kommissar es mir erzählt. Alle waren sie da, ganze Familien, wahrscheinlich sogar der Pfarrer. Das Licht war aus, niemand hat etwas gesehen. Die Leute hatten keine Angst vor deinem Großvater. Sie haben ihn gehasst.
    Sie trinken einen Schluck Bier. Der Vater leert die Flasche und sieht seinen Sohn an. Er lächelt fast.
    Nur, dass ich die Geschichte nicht glaube.
    Was? Wieso nicht?
    Weil es keine Leiche gab.
    Aber hat er nicht da gelegen, in seinem Blut?
    Das haben sie mir erzählt. Ich hab die Leiche nie gesehen. Als der Kommissar mich anrief, war die Sache im Prinzip schon erledigt. Angeblich hat es Wochen gedauert, bis sie mich ausfindig gemacht haben. Jemand in Garopaba wusste, dass er aus Taquara kam, dort haben sie dann jemanden gefunden, der meinen Vater an der Beschreibung erkannt hat und sich an meinen Namen erinnerte. Als sie mich anriefen, war er schon beerdigt worden.
    Wo?
    In Garopaba. Auf dem Friedhof im kleinen Fischerdörfchen. Ein Stein ohne Inschrift, ganz hinten.
    Warst du da?
    Ja, ich war am Grab und musste ein paar Formalitäten inLaguna erledigen. Alles sehr seltsam. Ich spürte ganz deutlich, dass nicht er in dem Loch da unten lag. Das Grab war zugewachsen. Ich weiß noch, wie ich dachte, Scheiße, hier wurde auf gar keinen Fall vorletzte Woche der Boden aufgegraben. Abgesehen davon fand ich niemanden, der mir die Geschichte bestätigen konnte. Es war, als wäre überhaupt nichts passiert. Die Geschichte an sich war plausibel, auch das Schweigen der Leute, aber die Art, wie ich davon erfuhr, das Gerede des Kommissars, dieser schreckliche Stein ohne Namen … ich glaube bis heute nicht daran. Aber was auch immer mit ihm passiert ist, es hatte so kommen müssen. Die meisten Menschen steuern auf einen ganz bestimmten Tod zu. Er hatte seinen.
    Hast du nie mit dem Gedanken gespielt, das Grab öffnen zu lassen? Das müsste doch möglich sein.
    Sein Vater sieht leicht irritiert zur Seite. Er seufzt.
    Pass auf. Ich habe diese Geschichte noch nie jemandem erzählt. Deine Mutter weiß nichts davon. Wenn du sie fragst, wird sie dir sagen, dass dein Großvater verschwunden ist, das ist das, was ich ihr erzählt habe. Und so war es für mich auch. Ich habe es dabei belassen und nicht mehr darüber nachgedacht. Wenn du das schlimm findest, ist das deine Sache. So, wie ich damals
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