Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flut

Flut

Titel: Flut
Autoren: Daniel Galera
Vom Netzwerk:
drauf war, das Leben, das ich geführt habe … es ist schwer, dir das jetzt zu erklären.
    Ich finde das nicht schlimm. Keine Sorge.
    Sein Vater rutscht im Sessel hin und her. Beta steht auf und springt mit den Vorderläufen auf die Beine ihres Herrchens, der nach ihrer Schnauze greift, als wollte er sie ihr zuhalten, sich vorbeugt und ihr in die Augen sieht. Als er sie loslässt, legt sie sich wieder hin. Eines der unergründlichen Rituale, die die Beziehung zwischen seinem Vater und der Hündin prägen.
    Und warum erzählst du mir das jetzt?
    Die Geschichte von Borges, die ich vorhin erwähnt habe, die hast du nicht gelesen, oder?
    Nein.
    »Der Süden«.
    Nein, ich hab noch nie etwas von Borges gelesen.
    Klar, du liest ja nie irgendwas.
    Papa. Die Pistole.
    Bueno .
    Sein Vater macht den Cognac auf, gießt sich ein Glas ein und trinkt es mit einem Zug aus. Ihm bietet er nichts an. Er nimmt die Pistole und betrachtet sie einen Moment lang. Er zieht das Magazin raus und steckt es wieder hinein, als wollte er nur zeigen, dass die Waffe nicht geladen ist. Ein einzelner Schweißtropfen läuft seine Schläfe hinab. Eine Minute zuvor hat er noch am ganzen Körper geschwitzt. Er steckt die Pistole in den Hosenbund und sieht ihn an.
    Ich werde mich morgen umbringen.
    Er denkt eine Weile über die Worte seines Vaters nach und horcht dabei auf seinen unregelmäßigen Atem, das kurze Schnaufen aus seinen Nasenlöchern. Eine immense Müdigkeit überkommt ihn auf einmal. Er steckt das Foto vom Großvater ein, wischt die Hände an den Shorts ab, steht auf und geht auf die Haustür zu.
    Komm zurück.
    Wozu? Was erwartest du von mir, nachdem ich mir diesen Scheiß anhören muss? Entweder du meinst das ernst und willst, dass ich dich davon abbringe, was so ziemlich das Schlimmste wäre, was du mir jemals im Leben angetan hast, oder du machst dich über mich lustig, was so was von daneben wäre, dass ich es lieber nicht wissen möchte. Tschau.
    Komm her, verdammt nochmal.
    Er bleibt an der Tür stehen, dreht sich um und blickt auf den tristen Fußboden, die Zementfugen zwischen den rosafarbenen Kacheln, den üppigen Farn, der an ein paar dünnen Ketten von der Decke hängt, riecht den süßlichen, seltsam animalischen Zigarrenrauch im Wohnzimmer.
    Weder scherze ich, noch will ich, dass du mich von irgendetwas abbringst. Ich setze dich über etwas in Kenntnis, das passieren wird.
    Gar nichts wird passieren.
    Ich werde es dir erklären. Mein Entschluss steht. Ich habe diese Entscheidung vor Wochen getroffen, in einem Zustand vollkommener geistiger Klarheit. Ich bin müde. Ich hab die Nase voll. Ich schätze, das fing mit dieser Hämorrhoiden-Operation an. Beim letzten Check-up hat sich der Arzt die Tests angesehen und mich dann mit todernster Miene angeguckt, als wäre er von der Menschheit insgesamt enttäuscht. Ich hatte das Gefühl, dass er meinen Fall abgeben will, wie ein Anwalt. Und er hat recht. Ich werde langsam krank, und ich habe keine Lust dazu. Das Bier schmeckt mir nicht mehr, die Zigarren bekommen mir nicht, aber ich kann trotzdem nicht aufhören, ich habe keine Lust, Viagra zu nehmen, um zu vögeln, ich vermisse es nicht mal. Das Leben ist zu lang, und ich habe keine Geduld. Wenn man so gelebt hat wie ich, ist das Leben ab sechzig nur noch eine Frage der Sturheit. Ich habe Respekt vor den Leuten, die sich das antun, aber ich habe keine Lust dazu. Bis vor zwei Jahren war ich ein glücklicher Mensch, und jetzt will ich, dass Schluss ist. Wer das falsch findet, soll gern hundert Jahre alt werden, ich wünsche ihm viel Erfolg. Nichts dagegen.
    So ein Schwachsinn.
    Ja. Vergiss es. Ich kann nicht erwarten, dass du mich verstehst. Wir sind zu verschieden. Versuch es gar nicht erst, du vergeudest nur deine Zeit.
    Du weißt, dass ich das nicht zulassen werde, Papa. Warum hast du mich herkommen lassen? Um mir so etwas zu erzählen?
    Ich weiß, dass es nicht fair ist. Aber ich habe es getan, weil ich dir vertraue, weil ich weiß, wie stark du bist. Ich habe dich herkommen lassen, weil ich vorher noch etwas erledigen muss, das ich nicht allein schaffe. Mein Sohn ist der Einzige, der mir dabei helfen kann.
    Warum rufst du nicht den anderen an? Vielleicht findet der das sogar lustig, wer weiß. Kann er ein Buch drüber schreiben.
    Nein, ich brauche dich dafür. Es ist das Wichtigste, um das ich je jemanden bitten musste, und ich weiß, dass ich auf dich zählen kann.
    Gib mir die Pistole und ich kümmere mich darum, egal, was es ist.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher