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Fluegelschlag

Titel: Fluegelschlag
Autoren: Jeanine Krock
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dachte, war der Schmerz kaum noch beherrschbar.
Sein ehemaliger Tutor hatte ihn immer wieder davor gewarnt, sich etwas anmerken zu lassen. Allerdings hatte er auch versprochen, die Emotionen, die Arian zu spüren glaubte, seien nicht mehr als ein Phantom, nur Überbleibsel seines Herzens. Doch anstatt zu vergehen, waren sie stärker geworden und immer schwerer zu ertragen. In diesem Augenblick hasste er es, anders zu sein, und verfluchte seine Gefühle.
    »Ganz recht!« Sie fuhr herum, in der Linken das Michaelisschwert.
    Arian fühlte kurzes Bedauern; doch schnell wurde daraus Erleichterung darüber, dass es mit dem Versteckspiel endlich ein Ende hatte. Stets hatte er zu verheimlichen versucht, was unter seinesgleichen unverzeihlich war: Emotionen nicht nur lesen zu können, sondern auch selbst zu besitzen. Justitias Schicksal war vergleichsweise harmlos. Ihr waren lediglich die Augen verbunden worden, um ihre Unparteilichkeit zu garantieren. Engel wie Arian dagegen besaßen kein Herz, denn es war ihnen nicht erlaubt, Gefühle zu haben. Diese, so hatten sie früh gelernt, störten die Ordnung.
    Das also ist das Ende!
    Nephthys hielt in der Bewegung inne. »Es ist dir egal?«
    Arian schenkte ihr ein müdes Lächeln. »Wenn es das Schicksal so will.« Seine Worte waren noch nicht verklungen, da fand er sich bereits auf dem Boden wieder. Nephthys ragte über ihm auf, Flammen züngelten vor seinen Augen. »Schutzengel verschwinden...«
    Arian hörte ihr nicht weiter zu, seine Gedanken rasten. Schutzengel gehörten zur unteren Ordnung. Sie wurden zwar regelmäßig von Dämonen geplagt und in ihrer Arbeit
behindert, doch so lange er zurückdenken konnte, hatte niemand wirklich versucht, ihnen etwas anzutun.
    »... herausfinden. Ich erlaube nicht, dass jemand unsere Grenzen ungesühnt verletzt. Hast du verstanden?« Ohne eine Antwort abzuwarten, stieß Nephthys zu, und Arian stürzte aus dem Himmel.
    Dem Untergang geweiht und in der sicheren Gewissheit, dass er diesen Weg zum letzten Mal nehmen würde, beobachtete er seltsam distanziert und zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich emotionslos jedes Detail seines eigenen Untergangs. Die züngelnden Flammen der Verdammnis, die seinen Körper auffraßen, die Winde des Schicksals und den Schmerz, der nach ihm griff, um zuletzt auch sein Bewusstsein zu rauben.

1
    J una lauschte. Draußen senkte sich die Nacht über den Garten, und ihre Leselampe zeichnete einen hellen Kreis auf den abgetretenen Teppich unter ihren Füßen. Außer dem Brummen des Kühlschranks in der offenen Küche war nichts zu hören. Aber hatte sie nicht gerade doch etwas gehört?
    Da war es wieder. So ein leises klapperndes Klirren, als würden Kleiderbügel aneinanderstoßen. Eine plötzliche Vorahnung beschleunigte ihren Herzschlag. So eindringlich warnte sie ihre innere Stimme davor, der Sache nachzugehen, dass Juna beinahe laut widersprochen hätte. Trotzdem zögerte sie, bevor sie das Buch beiseitelegte und aufstand. Ängstlich war sie nicht. Das durfte man in Glasgow auch nicht sein. Obwohl sie in keiner besonders gefährlichen Gegend wohnte, galt hier wie überall: Wer am Spätnachmittag oder abends allein unterwegs war, tat gut daran, eine gewisse Selbstsicherheit auszustrahlen... oder wenigstens schnell rennen zu können. Dies zumindest behauptete ihr Halbbruder John, der die Schotten allgemein, aber die Glaswegians ganz besonders verachtete. Sie hatten keinen guten Ruf im restlichen Land. Unberechenbar, wenn nicht gar gefährlich sollten sie sein, grob und laut.
    Dass sie ausgerechnet an John denken musste, während sie leise durch den dunklen Hausflur ging, ließ sie frösteln.
Vermutlich würde er sich liebend gern in ihrem Zimmer zu schaffen machen. Zu ihrem dreizehnten Geburtstag hatte er sie auf den Mund geküsst, und ein Jahr später war er eines Nachts an ihrem Bett aufgetaucht und hatte seltsame Dinge gesagt. Erst als sie gedroht hatte, sie würde das ganze Haus zusammenschreien, war er endlich verschwunden. Seither hatte sie sich häufig gefragt, was er in jener Nacht gewollt haben könnte.
    Damals hatte sie gefürchtet, er könnte mehr als brüderliche Zuneigung für sie empfinden. Genau dies war kurz zuvor auch einer ihrer Mitschülerinnen passiert. Später schämte sie sich für diese Verdächtigungen. Er machte sich zwar noch heute über den Akzent lustig, der ihre nördliche Herkunft verriet, wenn sie aufgeregt war, aber als sie ihm einmal erzählt hatte, dass die Schüler in der
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