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Fluegelschlag

Titel: Fluegelschlag
Autoren: Jeanine Krock
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zum Stillstand gekommen, aber die Wunde musste behandelt werden, das stand fest. Behutsam zog sie den blutdurchtränkten Stoff beiseite. Auf der Stirn des Mannes erschien eine steile Falte. Juna hoffte, er würde jetzt keine Schwierigkeiten machen, und überlegte, ob sie ihn mit einer einfachen Injektion ruhigstellen sollte. Sie schob das dichte Haar aus der Stirn und beugte sich erneut über die Verletzung.
    »Was tust du da?«
    Wieder ganz Medizinerin, erwiderte sie geduldig: »Du hast eine Stichwunde, und die werde ich versorgen!« Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen und weil er schon halb aufgestanden war, legte sie ihm die Hand auf die Brust, um ihn zurück in den Sessel zu drücken. Anstelle einer Antwort sackte er plötzlich zusammen, und sein Kopf fiel nach hinten, als habe das Genick es aufgegeben, ihn zu
stützen. Erschrocken griff sie nach seinem Handgelenk, um den Puls zu fühlen. Er hatte schöne Hände, warm, kräftig und gerade sehnig genug, dass man ihnen zutrauen konnte, notfalls fest zuzupacken. Die Schwielen auf den Innenflächen zeugten davon, dass er körperliche Arbeit nicht scheute, und bildeten einen merkwürdigen Gegensatz zu den gepflegten, kurzgeschnittenen Nägeln. Das mondförmige Weiß schimmerte wie Perlmutt, und als Juna ihre eigenen, immer ein wenig welligen und of eingerissenen Nägel ansah, konnte sie den Impuls, die Hände hinter dem Rücken zu verstecken, kaum unterdrücken.
    Sie schloss kurz die Augen und holte tief Luft. Du wolltest den Puls fühlen! , ermahnte sie sich und stellte wenig später zufrieden fest, dass dieser ebenso stabil war wie die Atmung des Mannes. Wahrscheinlich konnte er nur kein Blut sehen und hielt deshalb die Augen fest geschlossen. »Ich würde die Stelle gern betäuben …«, begann sie.
    »Nicht nötig, lass mich einfach nur einen Moment hier sitzen, okay?« Als habe er ihr Kopfschütteln gesehen, seufzte er. »Also gut. Aber keine Betäubung!«
    Juna war es egal, ob er glaubte, hart im Nehmen zu sein oder nicht. Sobald der Schmerz unerträglich wurde, würde er wahrscheinlich um eine Spritze betteln. Erstaunlich, wie viele Männer Angst vor einer Nadel haben, dachte sie belustigt.
    Der Stich wirkte relativ frisch, die Wundränder waren glücklicherweise glatt. Was ihr Sorgen machte, waren die schweren Verbrennungen um den Einstichkanal. Woher sie stammten, konnte sie sich beim besten Willen nicht erklären. Juna beugte ihren Patienten vorsichtig nach vorn, warf einen Blick auf seinen Rücken und hielt erschrocken die
Luft an. Wer auch immer ihm diese Verletzung zugefügt hatte, hatte enorme Kraft aufgewendet, denn seine Schulter war glatt durchstoßen worden.
    Ihr Großvater hatte erwähnt, dass einige Streetgangs der Gegend früher regelrechte Schlachten mit Claymores, den typischen schottischen Schwertern, geschlagen hatten. Heute konnte man damit nicht mehr so einfach durch die Straßen spazieren, deshalb benutzten die Jungs in der Stadt andere, aber keineswegs weniger tödliche Waffen. Juna erinnerte sich gut an die Geschichte, die Duncan MacDonnell immer wieder gern erzählte: Vor einigen Jahren hatte er in den Highlands einen Mann mit einer ähnlichen Verletzung zusammenflicken müssen, der es mit seiner Rolle als Rob Roy, dem bekannten schottischen Nationalhelden, zu ernst gemeint hatte. Genau genommen war es wohl der Gegner im Kostüm eines berüchtigten Rotrocks gewesen, der seinen Auftritt als Engländer deutlich übertrieben hatte. Immerhin war er vernünftig genug gewesen, nach dem Unfall sofort Hilfe zu holen, und der Doktor hatte den Todfeind des jungen Kriegers, der im wahren Leben sein bester Freund gewesen war, vor Schlimmerem bewahren können. Juna hoffte, dass es in diesem Fall ebenso glimpflich ausgehen würde.
    Nachdem sie die Wunde gespült hatte, vergewisserte sie sich so gut es ging, dass keine größeren Blutgefäße, Nerven oder Sehnen verletzt waren. Für eine so frische Verletzung sah alles erstaunlich intakt aus, und Juna hoffte, nichts übersehen zu haben. Nachdem sie die Wunde genäht hatte, legte sie einen Spezialverband auf und spritzte dem Fremden ein Schmerzmittel, von dem sie wusste, dass es ihm eine ruhige Nacht verschaffen würde.

     
    Arian spürte seine Verletzung kaum. Ihre Berührungen wirkten beruhigend, mehr noch: Sie weckten eine Leichtigkeit in seiner Seele, wie er sie nie zuvor empfunden hatte. Ein Engel konnte von Menschen nur gesehen werden, wenn er sich ihnen zu erkennen gab - was natürlich unter
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