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Fluegelschlag

Titel: Fluegelschlag
Autoren: Jeanine Krock
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vornehmen Londoner Privatschule, die auch er besuchte, sie deswegen ständig hänselten, hatte er seine kleine Halbschwester in Schutz genommen.
    »Niemand spricht schlecht über die MacDonnells!«, forderte er, und seltsamerweise hielten sich fortan die meisten Kinder daran.
    George, der auch zu anderen Schülerinnen besonders gemein gewesen war, brach sich kurz darauf ein Bein. Richard, sein bester Freund, kam mit einem blauen Auge zur Schule, und mit Emma, der Tochter eines Abgeordneten im britischen Oberhaus, unter deren Sticheleien sie besonders zu leiden gehabt hatte, wurde Juna irgendwann selbst fertig.
    John war nicht unrecht. Er hatte es nie leicht gehabt, seine ehrgeizige Mutter zufriedenzustellen, und außerdem hatte nie jemand mit Sicherheit sagen können, ob er hinter
den Unfällen ausgerechnet der Schüler steckte, die seine Familie beleidigt hatten.
    Juna bemühte sich, die Gedanken an ihren Bruder zu verdrängen. Je näher sie ihrem Zimmer kam, aus dem nun kein Laut mehr drang, desto beunruhigender wurden ihre Fantasien, von denen die eines bewaffneten Einbrechers noch die harmloseste war. Ihr Herz klopfte laut. Wahrscheinlich würde sie es nicht einmal bemerken, wenn der Einbrecher plötzlich laut in die Hände klatschte. Ich habe keine Angst , machte sie sich selbst Mut. Nachdem sie eines Abends auf dem Weg vom Bahnhof Queen Street zum Bus von Betrunkenen angegriffen und wahrscheinlich nur durch das Eingreifen einer Unbekannten letztlich mit dem Schrecken davongekommen war, hatte Iris ihr ein paar gemeine, aber wirksame Tricks gezeigt, die sie auf der Straße gelernt hatte.
    Der vergessene Besen, über den sie im dunklen Flur beinahe gestolpert wäre, kam ihr gerade recht. Die hölzerne Waffe in einer Hand, öffnete sie mit der anderen die Tür zu ihrem Schlafzimmer.
     
    Tartarus hatte er sich anders vorgestellt. Gewiss würde sich ihm dieser letzte Zufluchtsort für verstoßene Engel doch nicht als der duftende Wäscheschrank präsentieren, in dem er offenbar gelandet war? Trotz der ausgezeichneten Sehkraft, die ihn unter normalen Umständen auch in einem verdunkelten Raum nicht im Stich gelassen hätte, blieb sein Blick verschwommen. Arian versuchte sich aufzurichten und schlug hart mit dem Kopf an. Etwas kitzelte ihn an der Nase, und als er es beiseiteschieben wollte, hielt er ein zartes Spitzengebilde in der Hand, das er jetzt, da seine Sicht
wieder frei war, auch deutlich erkennen konnte. Sollte dies etwa seine persönliche Hölle sein: eingepfercht in einen Schrank, mit den Fantasien eines gesunden Mannes ausgestattet, der guten Gewissens behaupten durfte, seit Ewigkeiten keinen Sex mehr gehabt zu haben? Und was, wenn dieser Schrank im Schlafzimmer einer schönen jungen Frau stand...? Morgens würde sie, ohne ihn zu sehen, hineingreifen und das geblümte Sommerkleid vom Bügel ziehen, das direkt vor ihm hing. Vor dem Spiegel würde sie sich drehen und wenden und, ohne von dem heimlichen Beobachter zu wissen, vielleicht völlig ungeniert weitere Kleider anprobieren. Am Abend käme ihr Freund...
    Ein unbekannter Schmerz durchfuhr ihn. Das Grollen in seiner Kehle erschreckte sogar Arian selbst. War er wirklich eifersüchtig auf eine Fantasie? Es stimmte also: Getrieben von Gelüsten und Gier, hatte er durch den Sturz jegliche Kontrolle über sein Handeln verloren.
    Bevor der Engelmacher ihm das Herz herausgeschnitten hatte, war er von einem weisen Lehrer unterrichtet worden. Nicht was , sondern wie man erträgt, ist wichtig, hörte er ihn sagen, als wäre es gestern gewesen. Jetzt hatte er Gelegenheit, diese Theorie zu überprüfen.
    Mit den Fingerspitzen fuhr er über glattes Holz. Die Schranktür war nur angelehnt und schwang auf, Bügel klapperten. Arian hielt die Luft an und lauschte, ob sich etwas regte. Doch das Haus blieb still. Er machte einen Schritt hinaus, ein Dielenbrett knarrte unter seinem Fuß. Wieder verharrte er. Nichts. Oder war da ein leichtes Rascheln zu hören gewesen? Aufmerksam sah er sich um. Wie befürchtet, war er in einem Schlafzimmer gelandet. Jeder Dämon hätte sich in dieser Situation die Seele mit einem deftigen
Fluch erleichtern können, doch kein Wort kam über seine Lippen. Engel durften nicht fluchen. Warum sollten sie einem Unmut Ausdruck verleihen, den sie gar nicht empfanden? Es war auch mehr Überraschung als Verärgerung, die ihn bewegte.
    Nephthys hatte ihn, weiß Gott, schon an weit unangenehmere Orte geschickt. So gut immerhin kannte er sich in der
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